Nabelschnurblutspende und -einlagerung für Stammzelltherapie
Interview mit Prof. Dr. Daniel Surbek
swissmom: Direkt nach der Geburt eines Kindes aus der Nabelschnur gewonnenes Nabelschnurblut hat ganz besondere Eigenschaften. Welche?
Prof. Surbek: Das Nabelschnurblut enthält viele blutbildende Stammzellen. Diese Zellen können sich in die verschiedenen Arten von Blutzellen und Abwehrzellen des Immunsystems zu entwickeln; gleichzeitig können sie sich fast beliebig selbst vermehren. Aufgrund dieser Eigenschaften können blutbildende Stammzellen (die aus Knochenmark oder Nabelschnurblut gewonnen werden können) in einen anderen Menschen transplantiert werden, wo sie das blutbildende System und das Immunsystem wiederaufbauen, z.B. nach Chemotherapie und Bestrahlung zur Behandlung einer Leukämie.
Prof. Dr. Daniel Surbek ist seit 2005 ordentlicher Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe und Chefarzt der Geburtshilfe und Feto-maternalen Medizin der Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Inselspitals Bern.
Bei welchen Krankheiten ist unter Umständen eine Transplantation von Blutstammzellen erforderlich?
Prof. Surbek: In erster Linie handelt es sich um schwere Krankheiten, welche das blutbildende System direkt betreffen, wie Leukämien oder aplastische Anämie. In Frage kommen aber auch genetische (angeborene) Erkrankungen wie Defekte des Immunsystems, Stoffwechselkrankheiten oder schwere Thalassämien. Neue Ansätze betreffen sogenannte Autoimmunkrankheiten wie z.B. Multiple Sklerose u.a. Diese letztgenannten Therapien sind jedoch bisher nicht etabliert und werden zurzeit klinisch erforscht.
Gibt es Vorteile von Stammzellen aus Nabelschnurblut im Vergleich zu Stammzellen aus dem Knochenmark?
Prof. Surbek: Die Verwendung von Stammzellen aus Nabelschnurblut gegenüber Knochenmark zur Transplantation hat mehrere Vorteile: Nabelschnurblut kann nach der Geburt und nach der Abnabelung schmerzfrei und ohne Risiko für Mutter und Kind gewonnen werden, dies im Gegensatz zu der Knochenmarksentnahme, welche in der Regel in Narkose durchgeführt wird und zu Komplikationen führen kann. Nach Überprüfung von Qualität, Keimfreiheit und Gewebstyp des Nabelschnurblutes kann dieses tiefgefroren und über viele Jahre eingelagert werden.
Ein weiterer wesentlicher Vorteil besteht darin, dass Abstossungsreaktionen, die so genannte „Graft-versus-Host Krankheit“, bei Nabelschnurblut im Gegensatz zu Knochenmark seltener und in geringerem Schweregrad vorkommen, weil die Zellen im Nabelschnurblut noch unreifer und somit weniger befähigt sind, eine solche Abwehrreaktion auszulösen. Die Anzahl potentieller Spender ist sehr gross; insbesondere können auch Bevölkerungsgruppen mit seltenen Gewebstypen, welche in Knochenmarkspende-Registern untervertreten sind, als Spender eingeschlossen werden. Dies ist besonders wichtig, da heute nur eine Minderheit aller Patienten einen Stammzellspender mit verträglichem Gewebstyp haben. Letztendlich spricht auch der zeitliche Faktor für die Verwendung von Nabelschnurblut: Bei der Knochenmarkstransplantation von einem Fremdspender entsteht in der Regel eine erhebliche zeitliche Verzögerung (von Monaten), bis die Suche, die Vorabklärungen und die eigentliche Knochenmarksspende abgelaufen sind. Nicht selten ist es dann für die Transplantation zu spät. Im Gegensatz dazu ist das Nabelschnurblut-Transplantat aus einer Nabelschnurblutbank jederzeit abrufbar und steht für eine Transplantation bereit.
Welchen Nachteil von Nabelschnurblut gibt es?
Prof. Surbek: Ein wesentlicher Nachteil von Nabelschnurblut ist die begrenzte Menge Stammzellen, welche für die Transplantation zur Verfügung stehen. Manchmal reicht die Stammzellmenge einer Nabelschnurblutspende nur für ein Kind und nicht für einen Erwachsenen.
Wie gross ist die Anzahl eingelagerter Nabelschnurblut Konserven mittlerweile in der ganzen Welt? Wie viele Patienten haben bisher davon profitiert?
Prof. Surbek: Zurzeit sind in öffentlichen Nabelschnurblutbanken weltweit rund 1Million Nabelschnurblutspenden eingelagert, und diese Zahl steigt von Tag zu Tag. Solche Banken befinden sich in vielen Ländern der Welt. Daneben sind in privaten sogenannten autologen (Familien-) Nabelschnurblutbanken weitere 4 Millionen Nabelschnurblutkonserven eingelagert. Weltweit sind mittlerweile über 40'000 Nabelschnurblut-Stammzellspenden transplantiert worden. Die meisten aus öffentlichen Banken und geschätzt 1500 aus privaten Banken.
swissmom: Es gibt drei verschiedene Arten von Nabelschnurblutspenden: Erstens Spenden für ein erkranktes Familienmitglied (direkte Spenden), zweitens Fremdspenden für den Bedarf eines Unverwandten (öffentliche Banken) und drittens Eigenspenden, die für das Kind und seine Familienmitglieder eingelagert werden (private Banken).
Können Sie uns die öffentlichen Banken und die privaten Banken etwas näher erklären?
Prof. Surbek: Der Nutzen öffentlicher Nabelschnurblutbanken mit Fremdspenden ist unbestritten. Diese Spenden stehe der Öffentlichkeit zur Verfügung und werden international in Stammzellspenderegister-Netzwerken registriert und koordiniert. Das heisst, dass ein Patient überall auf der Welt Zugang zu den Registern hat. Benötigt er ein Stammzelltransplantat, und findet sich eine zu seinem Gewebstypus (HLA-Typus) passende Nabelschnurblutspende in einer Bank in irgendeinem anderen Land, kann dieses in die Klinik des betreffenden Patienten transportiert und ihm transplantiert werden. Die Kosten der Entnahme und Einlagerung der Nabelschnurblutspenden bei der Geburt werden von öffentlichen Geldern übernommen. Bei den privaten Nabelschnurblutbanken mit Eigenspenden stehen diese ausschliesslich dem Kind und seiner Familie zur Verfügung. Der Nutzen ist dann gegeben, wenn das Kind selbst oder ein Familienmitglied ein Stammzelltransplantat benötigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Nabelschnurblut-Stammzellen je verwendet werden, ist allerdings relativ klein, und wird zurzeit auf 1:1000 bis 1:2000 geschätzt. Die einmaligen Kosten der Einlagerung einer Eigenspende Nabelschnurblut, welche von den Eltern selbst getragen werden, betragen je nach privater Bank rund CHF 3000.- bis 4000.-. Ein Vergleich der verschiedenen privaten Banken in der Schweiz und deren Preis finden Sie auf www.nabelschnurblutspende.ch.
Sollen werdende Eltern eine Einlagerung des Nabelschnurblutes ihres Kindes in eine private Bank als Eigenspende in Betracht ziehen? Was raten Sie als Experte?
Prof. Surbek: Diese Frage müssen Eltern für sich selbst beantworten. Bis anhin bestehen wenig wissenschaftliche Untersuchungen zur Frage des Nutzens der Eigenspende von Nabelschnurblutstammzellen, weshalb vorerst offenbleibt, wie gross (oder wie klein) der effektive Nutzen ist und somit ist es schwierig, eine generelle Empfehlung zu geben. Zu beachten ist allerdings, dass Erkenntnisse aus der Forschung zeigen, dass Stammzellen aus Nabelschnurgewebe ein enormes Potential besitzen, denn sie können auch für die Regeneration von anderen Organen und Geweben verwendet werden wie z.B. Herzmuskel, insulinproduzierende Zellen oder Hirngewebe.
In unserem Forschungslabor am Inselspital in Bern haben wir beispielsweise erstmals in vorklinischen Studien nachgewiesen, dass sich Stammzellen aus der Nabelschnur für die Regeneration bei Hirnschädigungen bei Neugeborenen (Frühgeburten, Sauerstoffmangel bei Geburt) wirksam sind. Mittlerweile gibt es auch neue Studienergebnisse aus den USA, bei welchen sich diese Ergebnisse auch bei Menschen bestätigen. Sollte sich dies in der Zukunft in weiteren klinischen Studien bestätigen, so wäre es absolut denkbar, dass der Nutzen der Eigenspende von Nabelschnurblut und Nabelschnurgewebe in Zukunft stark zunimmt, da diese Stammzellen dann auch für die Behandlung von weiteren Erkrankungen eingesetzt werden könnten.
Bereits heute bieten private Banken an, zusätzlich zu Nabelschnurblut auch Nabelschnurgewebe einzulagern. Grundsätzlich ist wichtig, dass sich die Eltern ausführlich informieren bevor sie sich für oder gegen die Entnahme und Einlagerung von Nabelschnurblut und/oder Nabelschnurgewebe in eine private Bank oder als Fremdspende in eine öffentliche Bank entscheiden.
Was ist eine Hybrindbank?
Prof. Surbek: Neu wird es die hybride Einlagerung geben. Im Januar 2020 startet ein Projekt an der Frauenklinik des Inselspitals, bei dem eine Kombination der privaten und öffentlichen Spende (sogenannte hybride Einlagerung von Nabelschnurblut) möglich wird. Dabei können die Eltern das Nabelschnurblut ihres Kindes privat einlagern. Gleichzeitig wird der Gewebstypus bestimmt und das Nabelschnurblut wird in einem öffentlichen Stammzellregister aufgenommen. Wenn ein Patient irgendwo auf der Welt (z.B. ein Kind mit Leukämie) einen passenden Gewebstypus hat, können die Eltern entscheiden, ob sie das Nabelschnurblut zur Transplantation bei diesem Patienten spenden möchten und damit ihm zur Heilung verhelfen. Wenn sie sich dafür entscheiden, erhalten sie das Geld zurück, welches sie für die Einlagerung bezahlt haben. Dieses neuartige Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Roten Kreuz (und dessen Stammzellregister) und einer privaten Nabelschnurblutbank (Swiss Stem Cells Biotech) durchgeführt. Dies mit dem Ziel, diese Möglichkeit der Einlagerung von Nabelschnurblut bald schweizweit anbieten zu können.
Wie sieht die aktuelle Situation mit öffentlichen und privaten Nabelschnurblutbanken in der Schweiz aus?
Prof. Surbek: In der Schweiz koordiniert und finanziert die SWISSCORD der Blutspende SRK Schweiz die öffentlichen Nabelschnurblutbanken, in denen schon über 4000 Fremdspenden eingelagert sind. Heute ist es möglich, Nabelschnurblut in Aarau, Basel, Bern, Genf und Tessin öffentlich zu spenden (Fremdspenden). In der Schweiz gibt es mehrere private Nabelschnurblutbanken, welche die Einlagerung von Eigenspenden anbieten und die entsprechende Bewilligung vom Bundesamt für Gesundheitswesen haben.
Informationen zu den privaten und öffentlichen Banken und zu Einlagerungsmöglichkeiten finden sich bei der unabhängigen Schweizerischen Informationsstelle für Nabelschnurblutspenden, wo sich Eltern kostenlos beraten lassen können. www.nabelschnurblutspende.ch./de.
Weitergehende Informationen zur öffentlichen Nabelschnurblutspende finden Sie hier.