Sooooo unfair!
Es fing an damit, dass ich morgens um zwanzig nach sieben zuerst der Tochter das Wort erteilte, obschon Sohn Nummer zwei gleichzeitig mit ihr einen Satz angefangen hatte. Und schon war für Sohn Nummer zwei klar: Mama liebt die Schwester viel mehr als ihn. Wie kann sie denn so unfair sein, ein Kind zuerst reden zu lassen, wo sie doch ebenso gut auf dem linken Ohr dem einen und auf dem Rechten dem anderen zuhören könnte? Antworten kann sie dem einen mit dem linken Mundwinkel, dem anderen mit dem rechten. Ist doch keine Sache für eine erfahrene Mama, nicht wahr?
Keine zehn Minuten später sah sich die Tochter krass benachteiligt, weshalb nun sie an Mamas Liebe zu ihr zweifelte. Was war geschehen? Sohn Nummer zwei, der gewöhnlich nur sehr schwer aus dem Haus zu bringen ist, war früher als üblich angezogen und zum Gehen bereit und bekam deswegen ein Lob von mir. "Mich lobst du nie, wenn ich mich zügig bereit mache", beklagte sich die grosse Schwester. "Dabei muss ich mir immer alle Kleider zusammensuchen und komme deswegen fast zu spät." Alles Reden, ich würde sie doch auch loben, wenn sie etwas schaffe, was ihr besonders schwer falle, war vergebens und mein "Du hast es ja auch ganz toll gemacht" ging in einem heftigen Türknallen unter.
Man könnte meinen, ich hätte aus diesen zwei Fehlern gelernt und wäre an diesem Morgen in kein weiteres Fettnäpfchen getreten. In meiner Unüberlegtheit brachte ich es aber kurz vor acht - auf den letzten Drücker sozusagen - noch einmal fertig, eines meiner Kinder vor den Kopf zu stossen. In meiner Unbedachtheit sagte ich nämlich zu Sohn Nummer drei, wir müssten ihm ganz dringend neue Schuhe kaufen, weil die Alten ganz ausgelatscht seien. "Warum bekommt er neue Schuhe und ich nicht?", protestierte Sohn Nummer vier sofort. "Weil du im Februar von deinem Gotti gleich zwei Paar neue Schuhe bekommen hast", gab ich zur Antwort, doch das liess der Kleine nicht gelten. "Die sind doch gar nicht mehr neu. Immer bekommt er neue Sachen und ich nie." Meine Erklärungen, seine Schuhe seien noch so gut wie neu, weil er sie kaum je getragen habe und er hätte von seinem Gotti ja nicht nur Schuhe, sondern noch ganz viele andere Sachen bekommen, fielen auf taube Ohren und wieder zog eines meiner Kinder mit finsterem Blick von hinnen, tief im Inneren die Überzeugung, ich würde den grossen Bruder viel mehr lieben.
Ich weiss nicht, ob die drei Beleidigten mein "Ich hab' euch alle unendlich lieb" noch gehört und zu Herzen genommen haben. Eines aber weiss ich ganz bestimmt: Der Ausdruck, "sich den Mund fusselig reden" muss von einer Mutter geprägt worden sein. Und zwar von einer, die ihren Kindern pausenlos zu erklären versuchte, dass sie unmöglich alle zu jeder Zeit gleich behandeln kann - und dass sie trotzdem jedes von ihnen über alles liebt.