Seit heute heisse ich Noah Nummer fünf
Zum Glück haben wir ihn nicht Noah genannt. Nichts gegen den Namen an sich, der gefällt mir nämlich sehr gut. So gut, dass wir damals, vor sieben Jahren beinahe unser drittes Kind so genannt hätten. Noah, das ist doch der perfekte Name: kurz, schöner Klang und keiner fragt entnervt „Wie bitte?“ oder „Können Sie das bitte buchstabieren?“ wenn man sagt, wie das Kind heisst. Und dann erst diese Bedeutung: „der Ruhebringer“. Wie viele Eltern haben wohl diesen Namen gewählt, weil sie insgeheim hofften, dass in der Bedeutung nicht bloss ein leeres Versprechen liegt? Okay, auch der Name Noah hat seine Makel. Da wäre zum Beispiel die kleine Unklarheit ob mit oder ohne h am Ende. Hin und wieder wird man auch die Frage „Junge oder Mädchen“ gestellt bekommen, weil der Name ja für beide Geschlechter passt, aber ansonsten ist an dem Namen wirklich nichts auszusetzen.
Dennoch bin ich froh, dass wir uns damals dagegen entschieden haben, unseren Sohn Noah zu nennen. Hiesse er nämlich so, dann trüge heute ein Drittel aller Kinder in seiner Klasse denselben Namen, so ist es „nur“ ein Viertel. Zwölf Kinder, drei davon heissen Noah, ein viertes Kind führt den Namen als Zweitnamen. Eine Noah-Flut von nahezu biblischem Ausmass. Fragte mein Neffe vor bald zwanzig Jahren, als sein Freund Noah ihn besuchen kam, seine Mama noch: „Kommt er denn mit dem Schiff?“, so würde er heute wohl fragen: „Welcher Noah kommt denn? Der Grosse, der Blonde, der Schwarzhaarige oder der Freche?“
Das mit den Modenamen ist ja kein neues Phänomen. Vor zwanzig Jahren waren Luca und Laura in den Startlöchern, um die Hitlisten zu stürmen, zu unseren Zeiten waren es all die Stefans und Brigittes, die in rauen Mengen gezeugt wurden und noch vorher musste man wohl all die Fritzen und Emmas im Schulunterricht durchnummerieren. Man weiss nicht, woher es jeweils kommt, aber plötzlich liegt da ein Name in der Luft, ein Name, der allen gefällt, ein Name, den alle haben wollen und man fragt sich, warum es ausgerechnet dieser Name ist – ausser damals bei Kevin, natürlich, da wusste jeder, wer den Boom ausgelöst hatte.
Man gibt Eltern ja allerlei gute Ratschläge, wenn es um die Namenswahl geht: nicht zu exotisch, nicht zu lang, nicht zu Ehren von Politikern, weil man nie wissen kann, welches Drecksgeschäft demnächst ans Licht kommt, nicht so fremdländisch, dass ihn niemand aussprechen kann oder das Kind unter Verdacht gerät, ein Mitglied der Al Kaida zu sein, nicht so, dass sich zusammen mit dem Familiennamen eine groteske Kombination à la Kai Tschopp ergibt, nichts Bedeutungsloses, keine Namen, die mit historischen Figuren wie Attila oder Adolf Verbindung gebracht werden könnten, nicht so altmodisch, dass das Kind vom Gebärsaal direkt ins Altersheim gefahren wird, weil das Pflegepersonal aufgrund des Namens in der Akte angenommen hat, dass es sich hier um einen Greisen handelt. Das alles legt man den werdenden Eltern ans Herz, Vieles davon vollkommen zu Recht.
Warum aber warnt keiner davor, dem Kind den Namen zu geben, der gerade in der Luft liegt? Ja, der Name, der gerade in der Luft liegt ist wunderschön, er ist geradezu perfekt, aber allein dies sollte Ihr Misstrauen wecken, denn den perfekten Namen, den lieben alle, nicht nur Sie. „Aber woher soll ich denn wissen, welches dieser Name ist?“, fragen Sie. Nun, das ist ganz einfach. Es ist der kurze Name - meist biblischer Herkunft - mit dem schönen Klang und der vielversprechenden Bedeutung. Stimmen beim Wunschnamen all diese Voraussetzungen, sollten Sie die Sache noch einmal überdenken. Als letzter Test vor der definitiven Namenswahl empfehle ich Ihnen, den Namen in einer Runde von Freunden mal so ganz nebenbei zu erwähnen. Es gibt zwei Reaktionen, die Sie als sicheres Zeichen deuten können, dass Sie einem werdenden Modenamen aufgesessen sind: Mindestens drei Leute quietschen: „So heisst der Sohn meiner Cousine. Ein wunderschöner Name und so originell!“ und keiner fragt: „Wie bitte? Soll das ein Name sein?“ Wenn dies geschieht, sollten Sie sich vielleicht besser noch einmal über die Namensbücher beugen. Es sei denn, Sie hätten kein Problem damit, wenn Ihr Kind am ersten Schultag nach Hause kommt und stolz verkündet: „Seit heute heisse ich Noah Nummer fünf!“