Rumpfbeugen sind auch nicht alles
Ein Beitrag löste vor einigen Jahren auf Social Media eine Welle der Empörung aus: Das Bild einer bis in die letzte Faser ihres Körpers durchtrainierte Mutter, umgeben von ihren drei Kleinkindern, die provokativ fragt: "What's your excuse?" - "Was ist deine Ausrede?" Während weniger durchtrainierte Mütter ihrem Ärger Luft machten, schnödeten andere, wer sich angegriffen fühle, sollte sich besser mal ein Paar Hanteln schnappen und zu trainieren anfangen. So heftig tobte die Diskussion, dass der Fall in diversen Medien aufgegriffen wurde. Dort durfte die durchtrainierte Mama erklären, warum sie auch nach reiflicher Überlegung nicht nachvollziehen konnte, was anderen Müttern an ihrer Botschaft missfiel.
Ach, welch paradiesische Zustände da noch herrschten! So selten waren damals Bilder, die Müttern ein schlechtes Gefühl vermitteln, dass sich die halbe Welt darüber aufregte. So etwas könnte heute nicht mehr passieren. Fotos, die Müttern ihre Unvollkommenheit vor Augen führen, bekommt man inzwischen täglich auf Instagram präsentiert.
"Sieh nur, wie flach dein Bauch sein könnte, wenn du die Prioritäten im Leben endlich mal richtig setzen würdest", sagt das Bild einer Mama, die angeblich vor zwei Monaten ihr viertes Kind geboren hat und nun bereits wieder gertenschlank und durchtrainiert vor der Kamera steht.
"Auch nach einer durchwachten Nacht kannst du frisch und ausgeruht aussehen, wenn du dir genügend Zeit für Yoga nimmst", verkündet eine andere in ihrem Kurzvideo, während sie sich mühelos ihr linkes Bein über den Kopf zieht.
"Fettplösterchen? Ich doch nicht! Ich weiss, wie man zu sich schauen muss, damit so etwas nicht passiert", lautet die Botschaft des Bildes einer Hochschwangeren mit perfekt gerundetem Bauch.
"Mein Körper ist ein Tempel. Darum gönne ich ihm frisch gezogene Sojasprossen, Avocado und Mineralwasser. Du hingegen mutest deinem geschundenen Organismus Pasta Bolognese, Schokolade und Cola zu", mahnt das Bild einer anderen. Ihr nächstes Foto liefert den Beweis, dass Kinder mit Genuss zugreifen, wenn sie ungesüssten Naturejoghurt mit Chia-Samen vorgesetzt bekommen. Mama muss doch bloss ein gutes Vorbild abgeben, dann klappt das schon.
Auch wenn unter keinem dieser Bilder "What's your excuse?" steht, die Botschaft ist dennoch klar: Wer wirklich will, der kann auch. Soll bloss keine die Ausrede bringen, das Familienleben raube ihr die letzte Energie, sie könne sich jetzt nicht auch noch mit Selbstoptimierung rumschlagen.
Eigentlich sollte es ein Leichtes sein, diese Bilder und Ansprüche zu ignorieren. Wir wissen ja alle, dass Photoshop bei solchen Inszenierungen jeweils kräftig mitmischt. Und warum soll eine, die unsere Lebensumstände nicht kennt, uns sagen dürfen, was wir zu tun haben und wie wir auszusehen haben? Immerhin sind wir gestandene Frauen, die schon so manches gemeistert haben. Leider aber sind wir auch Frauen, die oftmals mit sich selber unzufrieden sind. Die damit hadern, dass sich der Körper durch Schwangerschaft und Geburt verändert. Denen der Kopf schwirrt mit den unzähligen Empfehlungen für einen gesünderen Lebensstil. Die allzu oft die Brille der Selbstkritik aufsetzen, wenn sie einen Blick in den Spiegel wagen. Und sind wir erst mal in dieser selbstkritischen Verfassung, braucht man uns nicht zweimal zu sagen, wir seien elende Versagerinnen. Dann glauben wir es schon beim ersten Mal.
Weil kaum eine es schafft, den Bildern von diesen angeblich so perfekten Müttern gänzlich aus dem Weg zu gehen, hilft wohl nur eins: Zwischen all den Windelpaketen, Hausaufgabenblättern, Teamsitzungen, Wäschebergen, Gutenachtgeschichten, Steuererklärungen, Wocheneinkäufen und Kindergeburtstagspartys immer mal wieder sich selber suchen. Eine Antwort finden auf die Frage "Wer bin ich eigentlich und was macht mich glücklich?" Und dann - so oft es das Leben erlaubt - die Dinge tun, die glücklich machen, seien sie auch noch so klein und unbedeutend. Ganz egal, ob es ein gutes Buch, die Nähmaschine, der Hund oder die tägliche Joggingrunde ist - Hauptsache, es tut richtig gut.
Eine Frau, die weiss, wer sie ist und was sie vom Leben will, lässt sich nicht so leicht weismachen, nur mit straffer Bauchdecke und selber gezogenen Sojasprossen könne sie wahrhaft glücklich werden. Sie braucht nicht zu stammeln: "Also, ich würde ja schon, aber die Kinder...", wenn ihr eine sagen will, wie sie sein müsste. Sie kann das alles ganz entspannt ignorieren, denn sie weiss, dass die täglichen Rumpfbeugen einen nur dann glücklich machen, wenn Rumpfbeugen das sind, was einen glücklich macht.