Kantönligeist und Kinderalltag
Wir leben ein paar Kilometer von der Kantonsgrenze entfernt, was zur Folge hat, dass zu unserer Familie nicht bloss fünf Kinder, drei Katzen, elf Wachteln und drei Nymphensittiche gehören, sondern auch ein netter Herr namens Kantönligeist. Wie es sich für rechte Schweizer gehört, haben wir schon früh eine flüchtige Bekanntschaft geschlossen mit diesem Herrn, bei uns eingezogen ist er jedoch erst, als unsere Kinder anfingen, im Kanton Solothurn die Schulbank drücken, währenddem mein Mann wie seit Jahren schon den Schülern im Aargau das ABC, das kleine Einmaleins und das Ringturnen beibringt. Seither sorgt der Kantönligeist immer wieder aufs Neue für etwas Würze in unserem ach so faden Familienalltag.
Gerade jetzt zum Beispiel hat der nette Herr es fertig gebracht, dass die Sportferien im Aargau an dem Tag zu Ende gehen, an dem sie im Kanton Solothurn beginnen. Gut, das hat immerhin den Vorteil, dass mein Mann und ich uns zwei Wochen lang jeden Morgen ungestört über Gott, die Welt und unser Bankkonto unterhalten können, danach aber werde ich zwei Wochen lang alleine dafür sorgen müssen, dass unsere Kinder sich nicht vor lauter Langeweile die Köpfe einschlagen. Zudem wird mindestens eine der Fünf mir mit der Frage in den Ohren liegen, weshalb ich nicht alleine mit ihnen in die Skiferien fahre, so schwierig könne es doch nicht sein, fünf unterschiedlich grosse und (un)erfahrene Kinder auf einer Skipiste zusammenzuhalten.
Nun, immerhin diesen Vorwurf werde ich leicht abwenden können: "Wir können gar nicht wegfahren", werde ich sagen, "sonst fehlt ihr im Kinderorchester, im Fechten, im Jugendorchester, in der Jungschar,..." Und ich werde die Wahrheit nicht im Geringsten frisieren müssen, denn fast sämtliche Freizeitaktivitäten unserer Kinder spielen sich ennet der Kantonsgrenze ab, was für uns Eltern die Herausforderung mit sich bringt, während der Aargauer Schulferien daran zu denken, unsere Kinder nicht hinzufahren und während der Solothurner Schulferien nicht zu vergessen, sie hinzufahren. Warum unsere Kinder sich nicht in ihrem Heimatkanton musikalisch, sportlich und sozial betätigen können? Eine solche Frage kann nur stellen, wer noch nie im Feierabendstau nach Olten festgesteckt ist.
Doch nicht nur wir, auch unsere Verwandten leiden darunter, dass der Kantönligeist in diesen Sportferien sein Unwesen besonders arg treibt. Wie soll zum Beispiel meine im Aargau wohnhafte und berufstätige Schwester ihre Kinder davon überzeugen, sich von mir hüten zu lassen, weil "drüben" die Krippe Ferien macht? Wo doch ihre Spielkameraden durch Schule und Hausaufgaben vereinnahmt sind und nur die doofe Tante - "Ach, wie bist du doch gross geworden!" - Zeit für einen hat. Und wie sollen unsere gelangweilten Kinder während ihrer Ferien bei ihren Cousins und Cousinen übernachten, wo diese doch morgens um acht bereits wieder aus dem Haus müssen und deswegen nicht bis spät in der Nacht Streiche aushecken können? Der Kantönligeist hat ganz offensichtlich kein Interesse am Zusammenhalt der erweiterten Familie.
Schliesslich - und dies ist die grösste Herausforderung von allen - stellt sich auch die Frage, wie mein Mann und ich es schaffen sollen, unsere Kinder rechtzeitig in die Schule zu schicken, wo wir doch eigentlich Ferien hätten und liegen bleiben dürften. Diese Aufgabe könnte eigentlich der Kantönligeist übernehmen, doch der macht keine Anstalten, die Suppe auszulöffeln, die er uns eingebrockt hat und heckt stattdessen lieber ein paar weitere nette kleine Überraschungen für uns aus.