Wenn ich nochmals wählen könnte...
Erfahrungsbericht einer swissmom-Leserin
Wenn ich nochmals wählen könnte...
Ich freute mich auf unser erstes Kind. Sehr sogar. Am allermeisten aber freute ich mich auf die bevorstehende Geburt. Aus welchen Gründen auch immer, und ich könnte da einige aufzählen. Ich selbst war gleich nach der Geburt von meiner Mutter zur Adoption freigegeben worden, hatte nie in ihren Armen gelegen. Meine Adoptivmutter wiederum hatte nie ein eigenes Kind zur Welt gebracht, weil mein Adoptivvater nach einer schweren Mumpserkrankung in seinen Teenagerjahren zeugungsunfähig war. Vielleicht wollte ich deshalb so sehr, dass alles wie im Bilderbuch klappt. Ich hätte mir eine angstrengende Geburt gewünscht. Hätte mir mein Kind gerne "verdient".
Den Geburtsvorbereitungskurs nahm ich sehr ernst. Die Atemübungen waren ein tägliches Muss für mich. Ich wollte gut gewappnet in diese schwierige Phase eintreten. Dass es anders kommen könnte, daran dachte ich nicht einen einzigen Augenblick. Bis mir der Arzt in der 38. Schwangerschaftswoche die Augen öffnete und dies ziemlich unsanft:
"Ihr Baby ist zu gross. Es will nicht ins Becken rutschen. Machen Sie sich auf einen Kaiserschnitt gefasst." Ich traute meinen Ohren nicht! Weshalb sollte ausgerechnet ich, die ich kein bisschen Angst vor den Schmerzen und wehen Stunden hatte, nicht normal gebären können? War es möglich, dass sich der Arzt das Ganze etwas zu einfach machte? Schliesslich hörte man immer wieder, dass Ärzte an einem Kaiserschnitt viel besser verdienen und das Risiko herabgesetzt werden konnte. Zudem war mein damaliger Gynäkologe eine absolute Kapazität in dieser neuen "Reisstechnik" (sog. "sanfter Kaiserschnitt nach Misgav-Ladach", die Red.), bei der das Gewebe nicht mehr geschnitten sondern dem Gewebeverlauf nach gerissen wurde. Die Frauen waren nach einem solchen "Eingriff" viel schneller wieder auf den Beinen. Wollte er vielleicht einfach sein Können einmal mehr unter Beweis stellen oder seine Technik noch verfeinern? Ich wollte nicht!
Rein körperlich betrachtet, war es mir während der gesamten Schwangerschaft ausgezeichnet gegangen. Und psychisch gesehen? Ich litt unter sehr starken Stimmungsschwankungen, musste die ersten drei Monate Gelbkörperhormone einnehmen, um nach einem vorangegangenen Abort diese Schwangerschaft ins "Trockene" zu retten. Vielleicht neigte ich auch deshalb eher zu einer depressiven Einstellung. Und jetzt, da ich dachte, das glückliche Ende sei in Sicht, wurde mir diese Illusion genommen. Von einem Moment auf den andern wurde von diesem Mann auf meinen Wünschen herumgetrampelt. Meine Einwände wurden zunichte gemacht, meine Tränen als lächerlich abgetan. Das tat weh.
"Wissen Sie, was noch vor 100 Jahren mit Ihnen geschehen wäre? Sie wären an der Geburt gestorben und Ihr Kind wahrscheinlich mit Ihnen. Also seien Sie froh, dass es diese Art der Geburt gibt!"
Natürlich war mir, rein verstandesmässig gesehen, diese Argumentation logisch. Aber ich dachte in diesem Moment nicht mit meinem Kopf sondern mit meinen Herzen. Und diese Sprache verstand mein Arzt nicht.
"Ein Kaiserschnitt ist keine Tragödie, sondern lediglich ein kurzer Unterbruch der Normalität. Sie bewerten das viel zu hoch!" - "Sie sind Arzt und Mann. Sie können gar nicht verstehen, was es für mich bedeutet, dieses Kind nicht normal gebären zu können!"
Diese Streitereien nützten mir nichts und führten zu keinem für mich befriedigenden Ergebnis. Ich wartete zu und sprach mit meinem Baby. Flehte es an, sich und mir zu helfen. Es strengte sich an. Ich spürte seine Bemühungen und wusste, dass es auch meine Unruhe fühlte. Aber es half uns beiden nichts. Zwei Tage nach dem errechneten Termin musste ich unters Messer.
Das war im Jahre 1996 und dennoch kommt es mir vor, als läge es eine Ewigkeit zurück. Die Erinnerungen schmerzen. So vieles lief "falsch", rein menschlich gesehen: Da ich nur allgemein versichert bin, musste ich mein Zimmer mit zwei andern Frauen teilen. Die eine hatte bereits am Vortag geboren und die andere lag im Kreissaal in den Wehen. Ein Krankenhausnachthemd wurde mir ausgehändigt und ich wurde angewiesen, dieses an- und all meinen Schmuck auszuziehen. Der Bauch war riesig und das Nachthemd viel zu klein. So musste ich mit nacktem Rücken und Hinterteil warten, bis ich endlich "drankam". Es war zwölf Uhr, als sie mich abholten. Die Männer durften damals noch nicht mit in den OP, da die Crew Angst hatte, sie könnten von den Stühlen kippen. Das Einzige, was mein Mann für mich tun konnte, war, mich bis vor die Tür des OP's zu begleiten. Dort gab er mir einen letzten Kuss, sah mir tief in die Augen und versicherte mir, wie sehr er mich liebt und dass er sich auf unser Kind freue. Ich hatte Angst, riesige Angst und niemand war bei mir, der mir helfen konnte. Niemand, der meine Hand hielt, niemand der mit mir durch diese bangen und gleichzeitig ergreifendsten Stunden ging. Ich war einfach alleine. Die Vorbereitungen liefen planmässig, aber ich war nicht mehr fähig, mich mit meinem Baby zu unterhalten. Ich wollte es nicht hergeben. Nicht auf diese Weise. Ich wollte es selbst zur Welt bringen, hätte es gerne bei mir, in mir behalten. Ich war nicht bereit! Aber niemand fragte mich. Alles verlief nach Fahrplan. Beruhigend für meinen Arzt und das Team, beängstigend und erniedrigend für mich und meinen Mann, denn wir waren in einem der wichtigsten Momente unseres Lebens einfach zu Statisten degradiert worden.
Dann kam die Teilnarkose. Ich musste mich auf die Seite legen und einen runden Rücken machen. Mein Bauch liess diese akrobatische Übung beinahe nicht mehr zu. "Runder, Sie müssen Ihren Rücken runder machen." Ich gab mir Mühe. "Nicht so steif! Sie sind viel zu verkrampft. Entspannen Sie sich!" Also, versuchte ich, mich unter Tränen zu entspannen. "Sie müssen den Rücken runder machen, sonst können wir nicht spritzen!" Danach war ich wieder zu verkrampft. Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte geschrien und wäre davon gerannt. Noch heute fühle ich diese Ohnmacht in mir, wenn ich das alles niederschreibe. Ich konnte nicht mehr! Und ich war so allein. Die Maske über meinem Gesicht ängstigte mich. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Wäre mein Mann dabei gewesen, hätte er für mich einstehen können. Aber der wartete vor der Türe auf unser Kind, auf seinen ersten Schrei.
Und endlich war es soweit! Ich hörte ihn rufen. Unser Sohn war gesund aus meinem Bauch geholt worden. Ein stolzer Junge mit einem Gewicht von 4'440 g und einem Kopfumfang von 38.5 cm. Aber das wusste ich noch nicht, als sie ihn mir kurz übers Tuch hinweg zeigten, schreiend, blutverschmiert, suchend. Ich wollte ihn halten, drücken, ihm zeigen, wie glücklich ich war, ihn endlich in die Arme nehmen zu dürfen. Aber ich durfte nicht! Sie nahmen ihn einfach weg, brachten ihn zum Absaugen, Messen und Wägen nach draussen. Ich hatte ihn nicht ein einziges Mal gehalten. Das einzig beruhigende für mich war das Wissen, dass sein Papa gut für ihn sorgen würde. Ich lag da, die Tränen liefen mir über die Wangen, mein Bauch war weg, das Kind auch und die Ärzte verrichteten unten am Tuch ihre tägliche Arbeit. Diskutierten miteinander, wie schwer dieses Prachtskind wohl gewesen sei und wann sie das letzte Mal einen solchen Brocken zur Welt gebracht hätten. Ein einziges Mal fragte mich die Anästhesistin, ob ich glücklich sei. Ich konnte nur nicken. Die Tränen liefen und liefen und ich konnte sie mir nicht mal abwischen, weil ich an beiden Händen an irgendwelche Apparate angeschlossen war. Ich sehnte mich nach meinem Mann und meinem Kind und konnte es kaum erwarten, endlich aufs Zimmer gerollt zu werden.
Oben angekommen, sah ich als erstes in das erstaunte Gesicht meiner Zimmergenossin: "Schon fertig?" Ein flüchtiges Nicken, ein hilfloser, suchender Blick durchs Zimmer. Weder mein Mann noch unser Sohn waren hier! Ich wartete und hatte Angst. Angst, dass etwas nicht in Ordnung war, Angst, dass ich etwas verpassen könnte. Endlich, endlich, kamen sie. Unser Sohn war gewaschen, angezogen und lag friedlich in seinem Glasbettchen, mein Mann sah mich entschuldigend an. Die Hebamme hätte den Kleinen mindestens drei mal gewogen und alle möglichen Tests gemacht, bis er gefragt hätte, wann er und der Kleine denn nun endlich zu mir gehen können. Bestimmt würde ich bereits ungeduldig warten. "Oje, ich hab die Zeit vergessen! Also, machen wir vorwärts!" Alles war in Ordnung, unser Kind war gesund.
Nach drei Tagen sah ich unseren Sohn das erste Mal nackt. Konnte ich zum ersten Mal seine molligen Beinchen betrachten, seinen Babypo streicheln und über sein Bäuchlein fahren. Wie viel war mir doch genommen worden! Weshalb nur konnte es nicht anders ablaufen?
Beim Austrittsgespräch nahm ich kein Blatt vor den Mund. Sagte den betreuenden Personen klar und deutlich, dass ich von der Art und Weise des Kaiserschnitts enttäuscht gewesen sei. Bemängelte, dass der eigene Mann nicht einmal mit in den OP genommen werden darf. Die Argumentation, dass ein Mann, der ohnmächtig wird zusätzliche Arbeit verursacht liess ich nicht gelten, denn es ging ja nicht darum, die Geburt live mitzuverfolgen sondern darum, der Frau zur Seite zu stehen und ihr Sprachrohr zu sein, ihre Emotionen und Ängste zu teilen.
Teilweise zeigten meine Einwände und die anderer unzufriedener Patientinnen Wirkung. Als ich zwei Jahre später wieder per Kaiserschnitt gebären musste, durfte mein Mann mit mir den ersten Schrei unseres zweiten Jungen erleben. Aber dennoch weiss ich, dass ich nie wieder ein Kind zur Welt bringen wollte, weil ich diese beiden Eingriffe nicht verdaut habe. Sie waren unpersönlich, gefühllos und nicht wie Geburten sondern wie alltägliche Operationen durchgeführt worden.
Ich appelliere an die Ärzte öffentlicher und privater Krankenhäuser:
Nehmt die Frauen ernst. Zeigt ihnen, dass sie nicht weniger wert sind, nur weil sie nicht in der Lage sind, ihr Kind natürlich zu gebären. Gebt ihnen das Erlebnis Geburt in einer Art, die auch einen Kaiserschnitt zu einem würdigen Abschluss einer einschneidenden Lebensphase werden lassen. Es liegt in Ihrer Hand. Genau so wie das Leben der Kinder, die sie aus ihrem ersten Zuhause heraus in eine neue Welt heben. Handeln Sie!
Wenn ich nochmals wählen könnte, würde ich mir ein Spital aussuchen, in dem die Babys und die Frauen im Mittelpunkt stehen, und wie Gäste behandelt werden. Zuvorkommend, den Wünschen entsprechend. Es gäbe da einige Möglichkeiten:
Die Frauen sollten die Möglichkeit erhalten, in einem Einzelzimmer auf den Kaiserschnitt zu warten.
Die Männer sollen von Anfang bis Ende dabei sein, sowohl bei den Vorbereitungen wie auch beim Nähen.
Die Babys müssen, sofern sie nach einem ersten Check als gesund und kräftig eingestuft werden, ihren Müttern auf den Bauch gelegt werden. Es gibt warme Tücher, und die wohltuende Nähe der Mutter ist mindestens genau so wichtig wie alle Sterilität und Vorsicht der modernen Krankenpflege.
Wenn die Mutter medizinisch versorgt ist, soll der ganzen Familie wie bei einer natürlichen Geburt ein Raum zur Verfügung gestellt werden, in dem das Baby vom Vater gewaschen und unter den Augen der Mutter versorgt wird.
Es ist nicht in Ordnung, wenn eine Patientin, die ja bekanntlicherweise sogar noch mehr Geld bringt als eine natürlich gebärende Mutter, zweitklassig behandelt wird. Die Argumente, es seien so oder so immer knapp Räumlichkeiten vorhanden, die solche Wünsche unmöglich werden lassen, sind fadenscheinige Ausreden, die ich so nicht gelten lassen möchte.
Es gibt Kliniken und Spitäler, die genau wegen der Berücksichtigung dieser Wünsche boomen. Das sollte doch Privatkliniken und andern Spitälern zu denken geben. Aber scheinbar wehren sich die werdenden Mütter noch zu wenig. Solange wir Angst haben vor der Übermacht der Ärzte und uns selbst klein und unfähig etwas zu ändern machen, wird uns auch kein wichtiger Schritt in diese Richtung gelingen. Auch wenn wir es nicht mehr für uns tun, wir können für andere Frauen etwas bewegen! Wir können den Gynäkologen zeigen, dass wir nicht nur aus Körper sondern auch aus Psyche bestehen. Warten wir nicht darauf, dass sich irgendwann mal etwas ändert, sondern nehmen wir selbst jede Gelegenheit wahr, unsere Anliegen, Sorgen und Bedürfnisse zu artikulieren und gegen aussen zu tragen.
Schweigender Groll nützt niemandem und schadet schlussendlich auch den Betroffenen. Genau aus diesem Grund habe ich diesen Artikel geschrieben. In der Hoffnung, gleichgesinnte Mütter zu finden, die nicht mehr länger hinnehmen wollen, dass über sie bestimmt wird.
Es geht bei dieser Argumentation nicht darum, ob die Ärzte ihre Arbeit gut oder schlecht machen. Sie retten Menschenleben. Sie haben bestimmt auch mir und meinem Sohn das Leben gerettet. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn wir aus dieser Dankbarkeit heraus schweigen. Denn schliesslich kassieren diese Ärzte ein saftiges Honorar für ihre Arbeit. Und wenn wir die Privatwirtschaft anschauen muss uns klar werden, dass nur bei befriedigender Leistung auch ein so hoher Lohn gerechtfertigt sein kann!
Ich wünsche vielen Frauen den Mut, sich stark zu machen für die gerechtfertigten Wünsche, die vielleicht tief verborgen in einem Winkel ihres Herzens liegen. Helfen wir uns, um zur Ruhe zu kommen und helfen wir andern Frauen und werdenden Müttern, den bevorstehenden Kaiserschnitt als würdige Geburt erleben zu dürfen!
(Name ist der Redaktion bekannt)