Die Wegbereiter der natürlichen Geburt

Entspannen zwischen zwei Wehen

Bei uns ist es seit vielen Jahren selbstverständlich, dass Babys so sanft wie möglich auf die Welt kommen, und dass Mütter und Väter die Geburt ihres Kindes als einzigartiges Erlebnis bewusst miterleben. Das war nicht immer so.

Jahrhunderte lang war eine Geburt eine Naturgewalt, die über die Frauen hereinbrach. Sie war mit vielen Tabus behaftet und wurde als etwas empfunden, das erlitten wurde. Die Väter waren vollständig ausgeklammert und kommen selbst in der Literatur oft als in Beizen wartende oder kettenrauchend auf- und ablaufende Randfiguren vor.

Zum Glück hat sich das heute gründlich geändert, und zwar dank dem Einsatz von Frauen und Männern, welche die Geburt enttabuisiert und werdende Mütter und Väter aktiv mit einbezogen haben.

Grantley Dick-Read


Der Gynäkologe Dr. Grantley Dick-Read war der erste Geburtshelfer, der sich für die Prinzipien der natürlichen Geburt einsetzte, und zwar schon in den 40er und 50er Jahren. Er hatte erkannt, dass die Angst vor der Entbindung und während der Geburt einen entscheidenden Einfluss auf die subjektiv empfundenen Schmerzen hat.

Angst aber entsteht vor allem aus Unkenntnis durch zu geringe oder falsche Information, was wiederum Anspannung und ein dadurch verstärktes  Schmerzempfinden verursacht. Deshalb setzte er sich für umfangreiche Vorbereitungskurse mit gründlicher Aufklärung der Schwangeren ein.

Die Dick-Read Methode war ein Meilenstein auf dem Weg zur natürlichen Geburt und versuchte erstmalig, den Teufelskreis aus Angst, Anspannung und Schmerz zu durchbrechen und die medikamentöse Schmerzbekämpfung zu vermeiden. Die Frauen sollen durch Information, emotionale Unterstützung durch ihre anwesenden Partner oder die Geburtshelfer und –helferinnen sowie durch Atem- und Entspannungsübungen auf die Geburt vorbereitet werden. Dazu gehört es auch zu wissen, wie die Wehen auf die verschiedenen Körperteile wirken. Indem sich die Gebärenden ganz bewusst auf die Erfahrung der Wehenschmerzen einlassen und sie als solche annehmen, können diese Schmerzen erträglich werden, ja die Geburt sogar zu einem positiven Erlebnis für eine Frau werden. Fast alle heute modernen Geburtsmethoden stützen sich auf diese Erkenntnisse.

Dick-Read hat auch zum ersten Mal die Rolle des Vaters bei der Geburt berücksichtigt.

Frederick Leboyer


Der französische Arzt und Geburtshelfer Frederick Leboyer nannte seine in den 70er Jahren entwickelte Geburtsmethode „Die sanfte Geburt“.

Er konzentrierte sich bei seinen Überlegungen mehr auf das Baby als auf die werdende Mutter. „Was fühlt, sieht und hört das Baby während der Geburt und welchen Einfluss hat all das auf sein späteres Leben?“ fragte Leboyer.

Das Trauma der Geburt beim Baby sollte alle Beteiligten veranlassen, so viel Respekt und Einfühlungsvermögen wie möglich zu zeigen. In seinem Buch „Geburt ohne Gewalt“ fordert er abgedunkelte Gebärsäle mit einem Minimum an Aktivität und Lärm. Das Kind soll in eine Umgebung mit sanftem Licht und ruhigen Stimmen hineingeboren und so behutsam wie möglich behandelt werden, damit es nicht von unangenehmen Empfindungen  erschreckt wird.

Leboyer empfahl als erster den sofortigen Hautkontakt, wozu das Baby der Mutter unverzüglich nach der Geburt auf den Bauch gelegt wird. Dadurch kann die Mutter-Kind-Beziehung unmittelbar geknüpft werden. Die Nabelschnur soll erst durchtrennt werden, wenn sie nicht mehr pulsiert. Danach soll das Neugeborene in ein lauwarmes Bad gehoben werden, um so den vorgeburtlichen Zustand im Uterus möglichst ähnlich nachzuahmen.

Leboyer betonte, dass Babys auch ohne den Klaps auf den Po die Augen öffnen und zu atmen anfangen. Nach einer sanften Geburt schreien die Neugeborenen nicht voller Angst, sondern sind entspannt und ruhig.

Ferdinand Lamaze


In den 50er Jahren beobachtete der französische Geburtshelfer Ferdinand Lamaze russische Frauen, die während der Geburt eine Methode benutzten, die Psychoprophylaxe genannt wurde. Zusätzlich beschäftigte er sich mit den Theorien von Iwan Pawlow, der die Reiz-Reaktion-Konditionierung bei Hunden untersucht hatte, und ihm wurde durch diese Beobachtungen klar, wie wertvoll „konditioniertes Lernen“ bei der Schmerzbewältigung sein kann.

Nach Lamaze ist Entspannung das A und O jeder Geburtserleichterung, denn wenn eine Frau gelernt hat, sich bewusst zu entspannen und ihren Körper dabei genau zu fühlen und wahrzunehmen, kann sie dem Schmerz wirksam begegnen.

Die Lamaze-Methode besteht aus verschieden Komponenten: Da ist zum Einen eine umfangreiche Aufklärung in Vorbereitungskursen zum Abbau von Ängsten, dann das Erlernen der bestmöglichen Entspannung mit selbstbestimmter Körperkontrolle unter der Geburt und ausserdem kontrollierte tiefe Atemzüge in einem bestimmten Rhythmus während der Wehen, um die Schmerzwahrnehmung zu vermindern und die Konzentration von den Schmerzen abzulenken.

Die Lamaze-Methode hilft Gebärenden effektiv, Wehen- und Geburtsschmerzen zu verringern. Heute ist sie (und ihr verwandte Variationen) in Russland und Frankreich weitverbreitet und auch in den USA und Grossbritannien sehr beliebt. Die Geburtsphilosophie nach Lamaze stellt die Frau in den Mittelpunkt, ihre innere Weisheit führt sie.

Durch die umfangreiche Aufklärung und Information in den Lamaze-Vorbereitungskursen ist die werdende Mutter in der Lage, alle wichtigen Entscheidungen während der Geburt zu treffen.

Letzte Aktualisierung: 05.11.2019, AG