Aller Anfang ist emotional
Die vielen Veränderungen, die eine Schwangerschaft mit sich bringt, sind nicht ganz easy zu händeln. Völlig verständlich also, dass die Emotionen ab und an Achterbahn fahren.
Das Licht in Umkleidekabinen fand ich schon immer unvorteilhaft. Nun, da mir die Hormone Pickel um den Mund und die bleierne Müdigkeit Schatten unter die Augen zeichnen, mag ich kaum in den Spiegel schauen.
Heute früh fühlte ich mich noch wie die schönste Schwangere auf Erden. Doch nun stehe ich mit zwei Frühlingskleidern in der Kabine und mir kommen die Tränen. Gerne würde ich mich neun Monate lang verstecken. Ein Zelt wäre wohl eine sinnvollere Investition als ein Frühlingskleid.
Ich verschwinde in dem weiten Shirtkleid, in dem man mir die Schwangerschaft nicht ansieht. Der Gedanke an einen riesigen Kugelbauch macht mir Angst. Ich pfeife auf all die Body-Positivity-Sprüche, die ich mir zu Hause an den Spiegelschrank geklebt habe. Ich möchte nicht von allen Seiten mit Kugeln bestückt sein!
Und schon kommt das schlechte Gewissen. Was bin ich nur für eine Mutter? Bestimmt fühlt sich unser Baby überhaupt nicht willkommen, wenn ich so über meine Schwangerschaft denke. Schnappatmung, kalter Schweiss, Herzrasen - ich muss mich hinsetzen.
Zur Ablenkung probiere ich das zweite Kleid. Die A-Linie betont jede meiner Rundungen. Ich sehe aus wie eine gefüllte Pfingstrose - welch schöner Anblick, so lieblich und weich. Okay, wow! Diese Stimmungsschwankungen sind echt next Level!
Ich streiche sanft über meine kleine Bauchwölbung und bin mir plötzlich absolut sicher, dass sich dieser kleine Mensch in mir geliebt fühlt. Kurz überlege ich mir, welches Kleid ich denn nun kaufen sollte. Das Weite bietet Platz für all meine Zweifel, während mich das andere strahlen lässt. Pathetisch flüstere ich mir selbst zu: "Alles gut, sie dürfen beide Platz haben - die gegensätzlichen Gefühle in deiner Schwangerschaft wie auch die beiden Kleider in deinem Schrank."
Die Kolumnistin
Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.