Mützchen oder nicht? - Das ist hier die Frage
Neulich teilte eine Freundin auf Facebook ein Foto einer jungen Frau mit Baby. Erst als ich bei den Kommentaren angelangt war, stellte ich fest, dass die Frau auf dem Bild keine gemeinsame Bekannte war, sondern irgend eine Prominente, von der ich noch nie zuvor gehört habe. Ja, und wenn man mal in einer Kommentarspalte gelandet ist, liest man auch, was da so alles geschrieben steht. Wie zu erwarten war, lauteten die ersten drei Kommentare "Jöööööö, wie süüüüüüsss!", oder so ähnlich, aber ab Kommentar Nummer vier wurde es richtig spannend:
"Ein wahrhaft süsses Baby, aber warum ziehst du ihm kein Mützchen an?", schrieb da eine, die offenbar etwas von der Sache verstand. "Hab' ich mir auch gleich gedacht, als ich das Bild sah", pflichtete die nächste Kommentatorin bei und fügte hinzu: "Weisst du denn nicht, dass Babys IMMER ein Mützchen tragen sollten?" So ging das dann eine Weile weiter. Eine erklärte, die Ohren eines kleinen Menschen seien eben besonders sensibel, die nächste dozierte, nicht nur die Ohren seien das Problem, sondern allgemein der grosse Wärmeverlust über den Kopf. Eine Dritte ergänzte, das gelte auch bei warmem Wetter, ja, sogar im Sommer, bei 35 Grad Hitze.
Dann aber drehte der Wind in der Kommentarspalte: "Kriegt euch wieder ein, ihr Supermuttis! Ist doch ihr Kind, die kann selber entscheiden", fuhr eine, von der man aufgrund des Profilbilds nicht mal sicher sein konnte, ob sie selber Kinder hat, ganz furchtbar unhöflich dazwischen. "Recht hast du! Wenn sie ihm kein Mützchen anziehen will, muss sie das auch nicht", schrieb die Nächste, eine Weitere behauptete provokativ, Mützchen seien total überbewertet, ihr Baby hasse sie, habe noch nie im Leben länger als drei Minuten eins getragen und trotzdem noch nie Ohrenschmerzen gehabt. (Was, unter uns gesagt, auch daran liegen könnte, dass sie ihr Baby diesen Sommer bekommen hat, der, wie man sich vielleicht erinnert, nicht gerade kühl war.) Schliesslich schlug eine dem Fass den Boden aus, als sie herzlos meinte: "Sie muss ja das elende Geschrei ertragen, wenn sich die kleine Rotznase eine Mittelohrentzündung holt, also soll sie machen, was sie will."
Wer so lieblos über das Baby einer Prominenten herzieht, muss natürlich mit Haue rechnen und so tobte bald ein hitziger Kampf zwischen den angeblichen "Supermuttis" und den Mützchen-Gegnerinnen. Dieser Kampf fand erst ein Ende, als eine, die neu dazugekommen war, auf einen weiteren Mangel aufmerksam machte: "Mützchen hin oder her - Warum zeigst du das Gesicht deines kleinen Goldschatzes nicht? Ich will den doch nicht nur von hinten sehen!" "Weil man nicht einfach Bilder von seinen Kindern ins Netzt stellt, du Dödel", antwortete jemand nicht besonders höflich, worauf die Nächste meinte, das sei doch alles nur Miesmacherei, sie zeige ihr Baby bei Facebook wann immer sie könne. Ihre Aussage unterstrich sie mit einem Foto, auf dem ihr Baby mit einem äusserst angestrengten Gesichtsausdruck zu sehen war, was darauf schliessen liess, dass da gerade etwas in die Windel ging. Wohl sehr zum Bedauern der leider nicht prominenten Mutter folgten auf dieses nicht besonders gelungene Foto eines leider nicht prominenten Babys keine "Jöööööö, wie süüüüüüsss!"-Kommentare, die Streitenden ignorierten das Bild einfach und zankten sich weiter.
Schliesslich aber stach einer Mama etwas ins Auge, was bisher noch keine kommentiert hatte: "Wie schön! Du trägst dein Baby in einer Trage. Wunderbar, dass es so geborgen in deiner Nähe aufwachsen darf." Von da an waren sie eine Weile lang alle in Minne vereint, die Supermutti-Fraktion, die Mützchen-Gegnerinnen, die "Babyfotos gehören nicht ins Netz"-Aktivistinnen und die "Ich zeige mein Baby jedem, ob es ihm gefällt oder nicht"-Rebellinnen, denn sie alle fanden, Tragen sei eine ganz wunderbare Sache und eine stellte gar mit Entzücken fest, dass sie genau die gleiche Tragehilfe verwendet wie die prominente Mama und da war die Freude natürlich grenzenlos. Leider musste dann irgend eine Miesmacherin daherkommen und behaupten, Tragen sei auch nicht das Gelbe vom Ei und so ging der Streit in eine nächste Runde.
Zu gerne hätte ich an dieser Stelle auch noch meinen Senf zu der Angelegenheit gegeben. "Liebe Mütter", hätte ich gerne geschrieben, "wollt ihr nicht mal einen Augenblick vom Smartphone aufsehen und prüfen, ob das Mützchen eures Babys noch richtig sitzt? Der Wind bläst heute empfindlich kühl." Ich hab's dann bleiben lassen, denn erstens habe ich in meinem Leben noch andere Dinge zu tun, als mich mit wildfremden Menschen darüber auszutauschen, was eine wildfremde Frau mit ihrem Baby anstellen soll. Zweitens verlangte einer meiner Söhne ganz dringend nach einer Mütze und weil ich der "Mütze? Sowas haben wir doch irgendwo"-Fraktion angehöre, mussten wir ganz lange suchen, bis wir endlich eine finden konnten.