Warum bloss so misstrauisch?

Eltern schmusen mit Baby
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Achtung! Wie es sich für eine Kolumne gehört, ist der folgende Text masslos überzeichnet. Er ist also nicht allzu ernst zu nehmen. Was aber nicht heissen soll, dass man sich nicht im einen oder anderen Punkt an der eigenen Nase nehmen darf. 

An einem strahlenden Frühlingsmorgen erblickt der kleine Flurin Maximilian das Licht der Welt. Ein gesunder, strammer Junge, Wunschkind von liebenden Eltern, die schon in der Schwangerschaft alles richtig gemacht haben und jetzt erst recht darauf bedacht sind, keine Fehler zu begehen. 

Leider trüben schon wenige Tage nach der Geburt die ersten Wölkchen das perfekte Familienglück. Die Hebamme stellt bei einem ihrer Hausbesuche fest, dass der Kleine nicht so gut zunimmt. Die Lage sei nicht dramatisch, man müsse die Sache aber im Auge behalten. Die Mama solle etwas häufiger die Brust geben, um die Milchproduktion anzuregen. Erst sind die Eltern einverstanden, doch als die Hebamme wieder weg ist, kommen Zweifel auf. Was, wenn der Kleine nicht genügend Milch bekommt? Wenn er unterernährt wird? Wäre zuschöppeln nicht besser? Oder vielleicht gleich abstillen? Und hat sich nicht neulich die beste Freundin kritisch über diese Hebamme geäussert? Vielleicht ist es doch besser, bei der Stillberaterin eine Zweitmeinung einzuholen. Diese bekräftigt zwar die Meinung der Hebamme, doch jetzt, wo der Zweifel gesät ist, verläuft der Rest des Wochenbetts nicht mehr so toll. Jede Aussage der Hebamme wird im Internet überprüft, mit Freundinnen erörtert und allenfalls noch eimal mit der Stillberaterin gecheckt. Sollten sie je ein zweites Kind bekommen, würden sie nicht mehr mit dieser Hebamme zusammen arbeiten, beschliessen die Eltern.

Es dauert nicht lange, bis das perfekte Glück eine weitere Delle bekommt. Die Kinderärztin hält es nämlich nicht für nötig, den Impftermin zu verschieben, obschon Flurin Maximilian doch wirklich nicht so recht im Strumpf ist. Nein, er ist nicht krank, aber halt ein wenig quengelig und da möchten die Eltern vorerst noch warten mit der Impfung, was die Ärztin nicht für nötig hält. So richtig getrübt wird das Verhältnis, als sie sich wenig später völlig unbesorgt darüber zeigt, dass Flurin Maximilian sich im Alter von vier Monaten noch nicht ganz selbständig vom Bauch auf den Rücken dreht. Nachbars Kleine konnte das schon viel früher und auch die Babys in der Krabbelgruppe scheinen alle schon weiter zu sein. Wie kann die Ärztin da bloss so gelassen sein und meinen, solche Entwicklungsschritte seien eben sehr individuell? Ein Kinderarztwechsel ist zwar nicht möglich - Kinderärzte sind in der Region äusserst dünn gesät und die Geburtenrate steigt -, aber das Vertrauen ist jetzt natürlich dahin und so begegnet man von nun an jeder Aussage der Ärztin mit Skepsis. Die besorgten Anrufe bei der medizinischen Hotline und die nächtlichen Besuche auf der Notfallstation häufen sich, obschon sich Flurin Maximilian prächtig entwickelt und er kaum einmal richtig krank ist. 

Richtig anstrengend wird es, als Mama wieder zu arbeiten anfängt und der Kleine zwei Tage die Woche in der Kita betreut wird. Natürlich beteuert das Personal, man kümmere sich liebevoll um die ihm anvertrauten Kinder, aber woher soll man wissen, ob das auch tatsächlich so ist? Immerhin hatte Flurin Maximilian neulich beim Abholen kein Mützchen auf dem Kopf, weil die Betreuerin fand, bei den angenehmen spätsommerlichen Temperaturen könne man darauf verzichten. Auch der Stuhlgang des Kleinen hat sich verändert, seitdem er in der Kita ist. Ob er dort auch wirklich nur den Brei bekommt, den die Mama ihm mitgibt? Am Ende füttern die ihn mit diesen schrecklichen Baby-Biscuits, obschon die Eltern dies ausdrücklich untersagt haben. Flurin Maximilians Eltern entschliessen sich, ihren Sohn künftig öfter mal etwas früher als angekündigt abzuholen, damit das Personal keine Gelegenheit hat, die Spuren eines allfälligen Fehlverhaltens zu verwischen.

Es dauert nicht lange, bis auch das Verhältnis zu den Grosseltern leidet. Diejenigen mütterlicherseits finden, die Eltern würden zu viel Aufhebens machen um das Kind, er werde doch auch ohne allzu viel Theater gross und stark. Und diejenigen väterlicherseits beharren auf dem Standpunkt, Grosseltern dürften den Enkel hin und wieder schon mal ein wenig verwöhnen. Beide Seiten dürfen das Kind nur noch im äussersten Notfall hüten, die seltenen Besuche werden zu einer verkrampften Angelegenheit. 

Die Jahre ziehen ins Land und plötzlich ist der erste Kindergartentag da. Die Kindergärtnerin ist allseits beliebt, einzig Flurin Maximilians Eltern trauen ihr nicht so recht. Hat die Frau nicht eben erst ihre Ausbildung abgeschlossen und noch keinerlei nennenswerte Erfahrung mit Kindern? Ist es nicht etwas gefährlich, dass sie die Kinder mit echten Scheren hantieren lässt? Kommt es nicht schon fast einer Grenzüberschreitung gleich, wenn sie ihren Schützlingen bei kleineren Blessuren tröstend den Arm um die Schultern legt und "Heile Heile Säge" singt? Und dann erlaubt sie auch noch Bananen zum Znüni, obschon die doch in anderen Kindergärten wegen des hohen Zuckergehalts schon längst verboten sind. Es kommt zu unzähligen Elterngesprächen und würde die Kindergärtnerin Flurin Maximilian nicht in den höchsten Tönen loben, wäre wohl schon bald auch die Schulleitung in die Sache involviert. 

Diese kommt dann in der ersten Klasse zum Zuge, denn die Lehrerin ist nicht nur viel zu wenig auf Leistung bedacht, sie findet auch, man müsse dem Jungen noch ein wenig Zeit lassen, als er trotz aller elterlichen Bemühungen nicht auf Anhieb zu den Klassenbesten gehört. Flurin Maximilians Eltern können einfach nicht nachvollziehen, warum sie stets die einzigen sind, die der Lehrerin bei regelmässigen Schulbesuchen auf die Finger schauen. Mit der Zeit werden auch die Besuche bei der Schulleitung häufiger, denn der Lehrer, den der Junge in der vierten Klasse bekommt, will einfach nicht erkennen, welch grosses Genie er da vor sich hat. Und als Flurin Maximilan mal in eine Keilerei mit einem Schulkameraden verwickelt ist, will der Lehrer partout nicht von seiner Meinung abrücken, der Sohnemann habe wohl auch zum Konflikt beigetragen, der könne nämlich ganz schön austeilen. 

Leider herrscht nicht mal im Privatleben eitel Sonnenschein. Als nämlich die Mama sich eines Samstags mit Freundinnen trifft, zwingt der Papa Flurin Maximilian dazu, sein Zimmer ganz alleine aufzuräumen. Abends geht er mit dem Sohn dann auch noch Kebab essen und lässt den von der Mama vorbereiteten Quinoa-Salat mit sonnengetrockneten Tomaten unberührt im Kühlschrank stehen. Seither ist das Verhältnis der Eltern ein wenig angestrengt und Papa muss mit diversen Interventionen beim allzu laschen Klavierlehrer, bei der zu wenig liebevollen Tennislehrerin und dem viel zu risikofreudigen Pfadileiter unter Beweis stellen, wie sehr ihm das Wohlergehen seines Sohnes am Herzen liegt. 

Warum bloss sind Flurin Maximilians Eltern so misstrauisch? Der Junge ist doch unbestritten das wunderbarste Geschöpf, das je auf dieser Erde gewandelt ist. Da werden seine Eltern doch bestimmt nicht die einzigen zwei Menschen sein, die diesem prächtigen Kind wohlgesinnt sind. 

Letzte Aktualisierung: 01.05.2017, TV