Und immer wieder dieser Denkfehler...
Nehmen wir mal an, Sie unterhalten sich mit einer Bekannten, die eine erfahrene Chirurgin ist. "Ich bin eine komplette Niete in meinem Job", klagt sie. "Wie kommst du denn darauf?", fragen Sie besorgt, denn beim Gedanken an eine Chirurgin, die ihr Handwerk nicht beherrscht, wird Ihnen ein wenig mulmig. "Ach, weisst du", sagt die Bekannte mit einem tiefen Seufzer und fast schon ein wenig beschämt, "ich bringe einfach kein anständiges Blumenarrangement zustande. Das sieht bei mir immer aus, als hätte eine Kuh darauf herum gekaut." Bevor Sie noch fragen können, was Blumenarrangements mit Chirurgie zu tun haben, fährt sie fort: "Und das mit dem Reifenwechsel kriege ich auch nie auf die Reihe. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich es schon versucht habe, aber es gelingt mir einfach nicht."
Oder nehmen wir an, Sie begegnen einem ehemaligen Schulfreund, der Ihnen erzählt, er sei jetzt Polizist. "Toll!", sagen Sie. "Das war doch immer dein Traum." "Ja schon. Aber es ist schwieriger, als ich gedacht hätte. Du müsstest mal sehen, wie meine Apfelbäume nach dem Schnitt jeweils aussehen." "Deine Apfelbäume? Ich hab gedacht, du seist Polizist und nicht Gärtner." "Natürlich, aber was macht es denn für einen Eindruck, wenn meine Obstbäume nicht anständig geschnitten sind?"
Komplett absurd, diese Dialoge, nicht wahr? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie nie in ein derartiges Gespräch verwickelt waren. Oder vielleicht doch?
"Du machst das ganz toll mit deinen Kindern. Ich wünschte, ich hätte deine brillanten Einfälle, um mit ihnen den Tag zu gestalten", haben Sie vielleicht schon mal zu einer Freundin gesagt. Und was entgegnete sie? "Ach weisst du, ich fühle mich als totale Versagerin. In unseren Kinderzimmern herrscht das komplette Chaos und anständig kochen kann ich auch nicht."
Oder neulich bei der Taufe Ihres Neffen, zu der Sie traumhaft kitschige Cupcakes mitbrachten. Die Dinger hatten nur einen Makel: Sie waren nicht in Ihrem Backofen entstanden, sondern in der Bäckerei und so murmelten Sie eine Entschuldigung, als Sie Ihrer Schwester die Box überreichten: "Sie sind nur gekauft. Die Kleine bekommt ihren ersten Zahn und die Grosse wird gerade ihre Windel los, da kriege ich einfach nichts mehr gebacken. Ich weiss nicht, wie du das immer alles schaffst. Manchmal denke ich, ich bin eine komplette Fehlbesetzung in diesem Mutterdings."
Wie bitte? Haben wir das alles nicht schon längst hinter uns gelassen? Wir gehen selbstbewusst unseren eigenen Weg, die einen mit mehr Beruf und weniger Haushalt, die anderen genau umgekehrt. In den Hausfluren hängen diese Schilder mit dem Spruch, eine gute Mutter habe klebrige Fussböden, Berge von Dreckwäsche, schmutzige Fenster und glückliche Kinder. Wir sind die Frauen, die ohne mit der Wimper zu zucken am Montag im Job richtig gut sind, abends aber keine Geduld mehr aufbringen für das trotzende Kleinkind, am Dienstag mit den Kindern glücklich durch den Wald streifen, dafür den Wäscheberg sträflich vernachlässigen, am Mittwoch keinen Gedanken an Kinder und Haushalt verschwenden, weil Papa zu Hause den Laden schmeisst und am Donnerstag weder am Morgen bei der Arbeit noch am Nachmittag mit den Kindern richtig bei der Sache sind, jedoch am Abend ein saumässig gutes Curry auf den Tisch bringen. Unser Kopf sagt uns, dass unsere Haushaltführung nichts über unsere Qualitäten als Mutter aussagt und doch rasen wir am Freitag wie wütende Wespen mit dem Putzlappen durchs Haus, damit die Gäste, die sich für Samstag angekündigt haben, sehen können, wie gut wir alles im Griff haben. Und wenn sie dann vor der Türe stehen, die Gäste, entschuldigen wir uns für die Spuren, die unsere Kinder schon wieder überall hinterlassen haben. Dabei stammen diese Spuren doch davon, dass die Kleinen den ganzen Tag mit Mama und Papa draussen im Garten gebuddelt und gewerkelt haben.
Das Götzenbild der engelsgleichen, Frau, die nur als rechte Mutter gilt, wenn sie zugleich auch perfekte Hausfrau ist, liegt schon längst in Trümmern. Dennoch ertappen wir uns dabei, wie wir uns wortreich entschuldigen, wenn wir diesem Bild nicht entsprechen. Ebenso wortreich bestreiten wir aber auch, dass die alten Vorstellungen für uns noch eine Geltung haben. So wie ich vor ein paar Tagen im Gespräch mit einem Ewiggestrigen. "Dieses ganze Haushaltszeug liegt mir nicht so", sagte ich zu ihm. "Das hättest du dir aber früher überlegen müssen", meinte er. Ich sah ihn fragend an: "Wie meinst du das?" "Na, wie wohl?", fragte er zurück, als wäre sonnenklar, was er meinte. "Das mit dem Haushalt hättest du dir doch überlegen müssen, bevor du fünf Kinder auf die Welt stellst. Jetzt bist du nun mal Hausfrau." Mit Ewiggestrigen muss man geduldig sein, also sagte ich nicht: "Du alter Chauvinist hast wohl gar nichts begriffen", sondern legte ihm sorgfältig dar, dass ich es durchaus mit meinem Gewissen vereinbaren könne, meine Kinder zu lieben, mit Freude meiner Arbeit nachzugehen und fast die ganze Hausarbeit zutiefst zu verabscheuen. Meine Kinder hätten noch nie an meiner Liebe zu ihnen gezweifelt, weil bei uns nicht immer alles perfekt aussieht, hingegen würden sie einen weiten Bogen um mich machen, wenn ich mal wieder mit lautem Schimpfen in die Hausfrauenrolle schlüpfe. Ausserdem gebe es da diesen Mann in meinem Leben, der ausgesprochen geschickt mit Besen und Staubsauger umzugehen verstehe.
Dann liess ich den Ewiggestrigen stehen und ging nach Hause, wo ich lange Zeit gedankenverloren auf meinen schmutzigen Fussboden starrte und mir überlegte, wie oft ich genau den gleichen Denkfehler mache. Zum Beispiel, wenn ich mir am Ende eines langen Tages mal wieder vorwerfe, ich hätte als Mutter auf der ganzen Linie versagt, weil das Haus im Chaos versinkt, nachdem die Kinder den ganzen Tag ungehemmt ihr fröhliches, wildes Leben gelebt haben.