Der erste Schrei
Der klassische erste Schrei ist ein deutliches Lebenszeichen des neugeborenen Kindes, auf das fast alle Mütter und Väter warten. Das Neugeborene schnappt mit dem Schrei automatisch nach Luft, die Lunge entfaltet sich, und der Kreislauf stellt sich auf das Leben ausserhalb des Mutterleibs um. Viele Babys hört man schon, sobald der Kopf geboren ist und der Körper erst noch nachgeschoben werden muss.
Aber auch Kinder, die nur ein bisschen jammern oder seufzen oder einfach nur tief Luft holen, sind keineswegs weniger lebensfähig als die Schreier. Aus diesem Grund wird kräftiges Gebrüll (bzw. das intensive Luftholen, das damit verbunden ist) heutzutage nicht mehr provoziert. Vor allem der berühmt-berüchtigte Klaps auf's Füdli des Neugeborenen – an den Füssen baumelnd – gehört der Vergangenheit an. Ihren ersten Atemzug nehmen Babys auch ohne äusseren Anstoss. Wenn das Kind bezüglich der spontanen Atmung ausserhalb der Gebärmutter Anpassungsprobleme hat, wird das heute durch vielfältige andere Anzeichen bemerkt und man hilft ihm dann auf behutsame, aber effektivere Weise.
Heute werden Neugeborene normalerweise direkt auf den Bauch der Mutter gelegt, wo sie ganz ungestört die Welt bestaunen und mit dem Atmen beginnen können. Nach einer Weile ist das Baby meist bereit, die Brust zu suchen (immer dem Geruch nach...) und zum ersten Mal zu trinken. Der Saugreiz regt die Milchbildung in den Brüsten an. Die richtige Milch schiesst allerdings erst nach etwa zwei bis drei Tagen ein (Milcheinschuss), vorher trinkt das Baby die wertvolle Vormilch, das Kolostrum. Ausserdem fördert das Saugen die Kontraktion der Gebärmutter und die Ausstossung des Mutterkuchens (Nachgeburt).
Wenn Sie Schmerzmittel verabreicht bekommen haben, kann es durchaus sein, dass diese auch auf Ihr Baby übergegangen ist, es deshalb noch die Nachwirkungen spürt und nicht gleich schreit. Machen Sie sich in diesem Fall keine grossen Sorgen, sie werden noch früh genug erfahren, wie laut Babys schreien können!
Um festzustellen, ob ein Kind nach der Geburt Probleme hat, nutzen Hebammen und Geburtshelfer heute die sogenannten Apgar-Werte und vergeben Punkte für Aussehen, Puls, Atmung, Reflexe und Muskelspannung des Babys. Bis zu zehn Punkte werden nach einer, drei, fünf und zehn Lebensminuten vergeben. Dabei sagt nur der 10-Minuten-Wert etwas über eventuellen Sauerstoffmangel unter der Geburt aus. Dieser sollte bei reif geborenen Kindern zwischen sieben und zehn liegen.
Wussten Sie übrigens, dass Babys bereits im Mutterleib ihre Muttersprache wahrnehmen? Die Bedeutung der Worte können Ungeborene natürlich nicht verstehen, doch ist schon lange bekannt, dass Babys im letzten Drittel der Schwangerschaft in der Lage sind, die Stimme ihrer Mutter zu erkennen. Gedämpft durch Fruchtwasser und Gebärmutter dringt Sprachmelodie der Mutter an seine Ohren. Wissenschaftler fanden heraus, dass ungeborene Babys aufmerksamer auf ihnen vertraute Rhythmen eingehen als auf Töne, die ihnen weniger bekannt sind. Nach der Geburt ist es genau diese mütterliche Tonfolge, die das Neugeborene imitiert, und durch Nachahmung verstärkt es die Bindung zur Mutter (Bonding).
Aber auch der Unterschied zwischen „Muttersprache“ und „Fremdsprache“ ist schon früh erkennbar. An der Uni Würzburg wurde festgestellt, dass Neugeborene sogar gleich von Geburt an in ihrer „Muttersprache“ schreien. Vergleiche zwischen Neugeborenen in Frankreich und in Deutschland zeigten, dass die Schreimelodien bei französischen Babys häufig ansteigend sind und deutsche Babys eher mit fallender Tonhöhe schreien. Die Forscher haben sich bei ihrer Arbeit auf französische und deutsche Säuglinge konzentriert, da bei diesen beiden Sprachen Rhythmus und Sprachmelodie sehr unterschiedlich sind.