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                              Ungewollt kinderlos – Wie Paare sich damit auseinandersetzen

                              Interview mit Gisela Zeller-Steinbrich

                              Paar ist ratlos und traurig
                              ©
                              iStock

                              swissmom: Keine Kinder zu bekommen ist eine Tatsache, die oft sehr schmerzt. Wie setzen sich Paare damit auseinander?

                              Gisela Zeller-Steinbrich: Menschen, die ungewollt kinderlos sind und darunter sehr leiden, fühlen sich meist sehr ohnmächtig angesichts dieser Tatsache. Sie sind in ihrem Selbstempfinden als Mann oder Frau, in ihren Idealen über sich und ihre Lebensgestaltung verletzt. Die Verarbeitungsmöglichkeiten sind sehr unterschiedlich, wirken sich aber stark auf das Lebensgefühl der Betroffenen aus. Generell geht es den Paaren besser, die versuchen, sich über die tieferen Gründe für ihren Kinderwunsch klar zu werden, und die sehen können, was vielleicht auch gegen Kinder sprechen könnte. Von hier aus eröffnen sich dann eher Handlungsmöglichkeiten und Wege aus der Ohnmacht und aus dem seelischen Schmerz.

                              Zur Person

                              Giesela Zeller-Steinbrich

                              Gisela Zeller-Steinbrich lebt und arbeitet als Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in Basel. Die diplomierte Paartherapeutin, Kinder- und Familientherapeutin ist seit 1981 in eigener Praxis tätig. Neben ihrer umfangreichen Lehr- und Vortragstätigkeit hat sie zahlreiche Fachbeiträge veröffentlicht, u. a. zur Entwicklung des Kinderwunschs und zu ungewollter Kinderlosigkeit. Daneben hält sie Vorträge und Seminare und arbeitet als Supervisorin für Psychologen, Psychiater und Sozialpädagogen. Sie ist Dozentin und Lehrtherapeutin an Ausbildungsinstituten in Basel, Luzern, Freiburg i. Br. und München. In über 40 Radio- und Fernsehinterviews gab sie Auskunft über psychologische und gesellschaftliche Fragen.

                              swissmom: Gibt es Unterschiede in der Verarbeitung bei Mann und Frau?

                              Gisela Zeller-Steinbrich: Frauen fällt es leichter, über das Thema zu sprechen. Schwangerschaft und Gebären haben in der seelischen Entwicklung und in den Lebensentwürfen vieler Frauen einen sehr hohen Stellenwert. Fehlt diese Möglichkeit, kann dies als grosser Mangel und schmerzlicher Verzicht erlebt werden. Frauen fühlen sich dann oft wie unvollständig und auch aus dem Kreis der Mütter ausgeschlossen. Sie müssen nun andere Zugehörigkeiten suchen. In meiner Praxis mache ich die Erfahrung, dass es für Männer und Frauen ähnlich bedeutsam ist, in dieser schwierigen Situation ihr Selbstwertgefühl zu bewahren. Wenn Männer erfahren, dass eine Ursache der Kinderlosigkeit bei Ihnen liegt, fühlen sie sich eher in ihrer Männlichkeit angegriffen. Sie leiden besonders, wenn Kind und Familie für die soziale Anerkennung gewünscht werden und sie selbst keine Aussicht auf eine weitere berufliche Entwicklung haben. Oft muss deshalb für beide auch eine Neubestimmung dessen erfolgen, was die Betroffenen mit Weiblichkeit oder Männlichkeit verbinden. 

                              swissmom: Ist es wichtig, sich bei Schicksalsschlägen wie Kinderlosigkeit als Paar neue Ziele zu setzen?

                              Gisela Zeller Steinbrich: Es wäre vielleicht tatsächlich ganz gut, wenn ungewollte Kinderlosigkeit auch heute noch als Schicksal betrachtet werden könnte. Bei Schicksalsschlägen gibt es soziale Unterstützung und man ist viel weniger allein. Meist wird jedoch die ungewollte Kinderlosigkeit als ein individuelles Versagen erlebt, gerade wenn sehr viel unternommen wurde, um doch noch eine Schwangerschaft und Geburt zu ermöglichen. Wir leben ja in einer Welt, in der Selbstbestimmung ein sehr hohes Ideal darstellt. Das Hauptthema ist dann das Scheitern und die Minderung des Selbstwertgefühls angesichts einer  Erfahrung von Kontrollverlust. Hilfreich sind ein fürsorglicher Umgang mit sich selbst und dem Partner, vor allem lustvolle Körpererfahrungen  und die Ausgestaltung der gemeinsamen sexuellen Erlebniswelt unabhängig vom Fortpflanzungswunsch. Ob eine Konzentration auf Beziehungen und soziale Aktivitäten, ob neu entwickelte oder weiterentwickelte kreative und musische Tätigkeiten oder eher ein verstärktes berufliches Engagement den Weg aus der Krise erleichtern, kann im Einzelfall erarbeitet werden. In meinem Buch habe ich diese positive Entwicklung beschrieben. Sie setzt einen Verarbeitungsprozess voraus, ein vertieftes Sich-Kennen-Lernen und zuletzt auch einen Abschied, einen gewissen Trauerprozess. Andere Lebensziele mit positiver Energie zu besetzen kann erst gelingen, wenn der Kinderwunsch weniger bedrängend ist. Das bedeutet, ein Stück weit loslassen zu können und dem herbeigesehnten, geliebten Wunschkind die Freiheit zu geben, eventuell auch nicht zu kommen. Nur dann kann die Kinderlosigkeit auch als Gewinn an eigener Freiheit von der Verantwortung für Kinder erlebt werden. Nach dem Motto: Leben mit einem Kind wäre schön, aber wenn es denn sein muss, geht es auch ohne eigenen Nachwuchs.

                              swissmom:  Wo und bei welchen Fachpersonen soll sich ein Paar in dieser Situation Hilfe holen?

                              Gisela Zeller Steinbrich: Wünschbar wäre eine psychologische oder psychosomatische Beratung bereits vor der Suche nach Ursachen. Die ersten Ansprechpersonen ausserhalb der Partnerschaft sind ja in der Regel die Frauenärztinnen. Oft erfolgt dann sehr schnell die einschlägige Diagnostik. Werden bei einem oder beiden Partnern  körperliche Ursachen gefunden, wächst aber der Druck, weil deutlich wird, an wem es liegt, und dass körperlich etwas „nicht in Ordnung“ ist. Aus einem Menschen mit einem unerfüllten Wunsch wird so  ein Mensch mit einem körperlichen Defekt. Belastungen für die Partnerschaft sind oft besonders hoch, wenn scheinbar klar ist, wer „schuld“ ist. Behandlungsvorschläge wie hormonelle Stimulation oder In-vitro-Fertilisation werden dann oft erst einmal als Erleichterung erlebt, weil man etwas tun kann. Sie sind aber nicht ohne Belastung und Risiko und es gibt keine Erfolgsgarantie. Auch Fertilitätsbehandlungen können besser von Paaren verkraftet werden, die nicht allzu fixiert auf ihren Kinderwunsch sind und ihn einordnen können in ein Gesamtkonzept von sich und ihrem Leben. Zur Entlastung ist eine Beratung ausserhalb des Fertilitätszentrums hilfreich, weil dort freier über negative Aspekte der Behandlung gesprochen werden kann als im Fertilitätszentrum bei den Ärzten, von denen man sich ja weitere medizinische Hilfe erhofft. Kompetente Ansprechpartner sind psychologische Psychotherapeuten und Fachärzte für Psychotherapie oder Psychosomatik welche eine Spezialausbildung in Paartherapie haben und mit dem Feld der Sexualmedizin vertraut sind. Bei dauerhaft gedrückter Stimmung und seelischem Schmerz oder bei vermehrten Partnerschaftskonflikten sollte nicht zu lange damit gewartet werden. Das frühzeitige Gespräch mit einer Fachfrau oder einem Fachmann verringert das Risiko einer Chronifizierung bzw. einer depressiven Abwärtsspirale, vor allem bei negativem Ausgang von Fertilitätsbehandlungen.

                              swissmom: Hat sich das Paar mit der Tatsache „Kinderlosigkeit“ auseinandergesetzt und einen Weg gefunden, sich als Paar zu geniessen, verletzt oft das Umfeld mit Fragen zum Thema Kinder. Wie kann ein Paar solchen Fragen begegnen?

                              Gisela Zeller Steinbrich: Wenn die Kinderlosigkeit nicht mehr als persönliches Versagen erlebt wird, fällt es meist nicht so schwer, eine Antwort zu finden auf die Kinderfrage. In der akuten Phase kann es eine Weile hilfreich sein, schlicht zu sagen, dass man nicht mit Dritten darüber spricht, weil das Thema Kinder oder keine nur den Partner, die Partnerin und einen selbst betrifft. („Wichtige Frage. Peter und ich sind dabei, das zu klären“. „Ja, wollt Ihr denn keine Kinder, oder klappt es nicht, oder wollt Ihr nichts dagegen tun?“ „Wie gesagt, ich bespreche das mit Peter. Wir wollen das als Paarthema behandeln.“) Unpassende, distanzlose und indiskrete Fragen werden am besten einfach ignoriert. Bei sehr hartnäckigen Fragern hilft am besten ein beherzter Themenwechsel („Übrigens, wir haben einen interessanten Film gesehen“) oder eine völlig andere Gegenfrage: „Hat Euer Sohn immer noch Schwierigkeiten in der Schule?“, „Wisst Ihr schon, wohin die nächste Urlaubsreise geht?“ Auf diesem Feld sind Kinderlose nämlich im Vorteil.  Ein ungewollt kinderloses Paar hat mir einmal berichtet, wie sie darunter leiden, jeden Morgen beim Frühstück auf ein Transparent mit einer Geburtsankündigung schauen zu müssen, das unübersehbar am Nachbarhaus hing. Ich habe die beiden gefragt, was sie selber denn gerne publik machen würden, und beide waren getröstet und amüsiert, als sie sich ausgemalt haben, wie ihr eigenes Plakat mit Erfolgsmeldungen am Balkon aussehen könnte.

                              swissmom: Manche Paare überlegen sich mit der Zeit auch, ein Kind zu adoptieren oder ein Pflegekind an sich zu nehmen. Dies ist sicherlich nicht für alle Partnerschaften eine gute Lösung. Was raten Sie Paaren, die sich die Frage „Adoption“/“Pflegekind“ stellen?

                              Gisela Zeller Steinbrich: Ein Kapitel meines Buches befasst sich mit dem Thema Adoption. Allgemein kann man empfehlen, sich vorher möglichst gut über Adoptivelternschaft und vor allem auch über die Schwierigkeiten, die sich mit Adoptiv- oder Pflegekindern stellen, zu informieren. Zudem sollte keine Adoption ohne die Unterstützung einer seriösen und erfahrenen Organisation auf eigene Faust versucht werden. 

                              swissmom: Wie können kinderlose Paare zusammen Lebenslust finden und auch behalten?

                              Gisela Zeller-Steinbrich: Wenn beide Partner seelisch im Gleichgewicht sind, braucht das Paar in dieser Hinsicht keinen Rat, weil der lustvolle Kontakt und die Freude aneinander auch ohne Kinder erhalten bleibt, oder diese Bereiche gepflegt und wieder aufgefunden werden können. Der Kontakt mit anderen, zufriedenen  kinderlosen Paaren bei gemeinsamen Aktivitäten, aber auch die Beschäftigung mit gut ausgewählter Literatur zum Thema tun gut, weil neue Aspekte (nicht nur die des Leidens) ins Spiel kommen und weil deutlich wird, dass man nicht allein ist mit dem Thema. 

                              Kontaktadresse: Gisela Zeller-Steinbrich, Psychotherapeutin SPV,VPB,VAKJP, Paar- und Familientherapeutin BvPPF, Mitglied und Supervisorin IPR, IPPF, Austrasse 79, CH-4051 Basel, Tel. 061 271 22 50     

                              Letzte Aktualisierung: 03.08.2016, swissmom-Redaktion