Zweisprachig aufwachsen - Das sind die Vorteile!
Gastbeitrag von Michaela Davison, Lektorin
Mit zwei Sprachen aufwachsen zu können, ist ein Geschenk. Für bilinguale Familien bringt das Abenteuer Zweisprachigkeit aber auch so manche Herausforderung mit sich. Welche Fragen beschäftigen Eltern und was sagt eigentlich die Wissenschaft über die Vorteile von Zweisprachigkeit bei Kindern?
Auf dem Frühstückstisch steht ein Obstteller. Etwas misstrauisch runzelt unsere sechsjährige Tochter die Stirn und deutet auf die Birne. „Is this hart or weich?“. „It is mittel“, erwidert ihre Schwester, die bereits genüsslich an ihrem Birnenstück kaut.
Viele zweisprachige Familien kennen solche Dialoge. Und obwohl sie so natürlich sind, dass sie im Alltag kaum mehr auffallen, stellen sich die meisten Eltern doch irgendwann Fragen wie: Überfordern wir unser Kind mit der bilingualen Erziehung? Gehen wir die Sache richtig an? Und welche Vorteile birgt die Zweisprachigkeit überhaupt?
Angeborener Bauplan im Gehirn
Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit Kinder eine Sprache erwerben? Ebenso spielerisch geschieht der Spracherwerb, wenn das Kind mit zwei oder mehr Sprachen aufwächst. Die von Noam Chomsky in den 60er Jahren begründete Universalgrammatik erklärt dies damit, dass die Fähigkeit, die Struktur jeder Sprache zu erkennen, sie zu erwerben und zu benutzen, uns Menschen angeboren ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man mit einer oder mit mehreren Sprachen aufwächst. Eltern müssen also nichts weiter tun, als die Sprachen aktiv im Alltag zu leben. Dies geschieht ganz natürlich, indem sie viel mit ihren Kindern sprechen, ihnen vorlesen und vorsingen.
Überforderte Kinder? Schnee von gestern!
Zweisprachigkeit ist bei Weitem keine Seltenheit. Im Gegenteil, fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist zwei- oder mehrsprachig. Und doch haben viele Eltern Bedenken, wenn es darum geht, ihre Kinder zweisprachig aufwachsen zu lassen. Viele fragen sich, ob sie ihre Kinder mit der Zweisprachigkeit überfordern. Andere wiederum befürchten, dass die Kinder die Sprachen später nicht auseinanderhalten oder richtig sprechen können. Lange war diese Unsicherheit tief in unserer Gesellschaft verankert. Man glaubte beispielsweise tatsächlich, Zweisprachigkeit würde Kinder verwirren und zu schulischen Problemen führen. Glücklicherweise wurden solche Mythen spätestens Anfang der 70er-Jahre mit der einflussreichen Studie der Sprachwissenschaftler Peal und Lambert widerlegt.
Verwirrt das Mischen von Sprachen die Kinder?
Dies ist eine sehr häufige Frage, die Eltern sich stellen. Die Antwort hierzu lautet schlicht: Nein. Das kunterbunte Sprachgemisch, das in der Linguistik Code-Switching genannt wird, ist ein kreativer Prozess und bedeutet sogar, dass die Kinder beide Sprachen meisterlich jonglieren können. Ihre kleinen Gehirne wissen nämlich ganz genau, was sie tun, wenn sie mühelos zwischen den Sprachen hin- und herwechseln. Code-Switching ist ein Zeichen von Kompetenz in beiden Sprachen. Ausserhalb der Familie lernen zweisprachige Kinder übrigens sehr früh, die jeweilige Sprache an ihren Gesprächspartner anzupassen.
Ein Elternteil, eine Sprache?
Eine beliebte Strategie in vielen zweisprachigen Familien ist der Ansatz "Ein Elternteil - eine Sprache". Er gilt mittlerweile nicht mehr als die einzig „richtige“ Strategie, ist aber vor allem dann sinnvoll, wenn beide Elternteile etwa gleich viel Zeit mit den Kindern verbringen. Im Idealfall sollte jeder die Sprache weitergeben, die er selbst am besten spricht. Denn Sprache ist auch Teil unserer Persönlichkeit und kulturellen Identität. Wichtig ist letztendlich, dass jede Familie den Weg für sich findet, der sich am natürlichsten anfühlt.
Kognitive Vorteile von Zweisprachigkeit
Die frühe Annahme, Zweisprachigkeit schade der kindlichen Entwicklung, ist nachweislich falsch. Im Gegenteil: Inzwischen ist bekannt, dass sie die kognitive Entwicklung von Kindern sogar bereichert. Forschungsergebnisse zeigen, dass bilinguale Kinder ausgesprochen flexibel und originell denken, ihre Aufmerksamkeit äusserst gut fokussieren und dabei irrelevante Informationen ausblenden können. Sie besitzen ausserdem schon früh ein sogenanntes metalinguistisches Bewusstsein, also die Fähigkeit, ihre Gedanken mühelos auf die eigene Sprache und Grammatik zu lenken und über diese zu reflektieren. Nicht zuletzt haben bilinguale Kinder innerhalb einer Studie überdurchschnittlich gut in Intelligenztests abgeschnitten.
Kommunikativ und kreativ
Zweisprachige Kinder sollen sehr aufmerksame Kommunikationspartner sein. Zu diesem Schluss kam Dr. Anja Gampe, die als Entwicklungspsychologin an der Universität Zürich forscht. Durch die anspruchsvollen Gesprächssituationen im Alltag bilingualer Kinder hätten diese die Fähigkeit erworben, sehr sensibel auf nonverbale Kommunikationssignale wie Gestik und Mimik zu reagieren.
Neueste Erkenntnisse weisen sogar darauf hin, dass Zweisprachigkeit bei Kindern mit einem hohen Mass an Kreativität einhergeht. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Professor Onysko von der Universität Klagenfurt, in der er sowohl englische Muttersprachler als auch zweisprachige Menschen (Englisch und Māori) Assoziationen zu erfundenen zusammengesetzten Nomen bilden liess. Was genau dabei einen kreativen Menschen ausmacht, lässt sich nicht so einfach definieren, aber ein gängiger Ansatz ist, dass kreative Menschen weniger linear denken, ihre Gedanken breiter gestreut sind und sie leichter auf Ideen abseits des Mainstreams kommen.
Noch zwei Tipps für Eltern
Viele Eltern, die zu Hause nur eine Sprache sprechen, wünschen ihrem Kind schon sehr früh die Vorteile einer weiteren Sprache. Das ist gut verständlich und völlig in Ordnung, doch man sollte dann darauf achten, dass das Kind die Sprache von einer muttersprachlichen Person hört. Nur dann kann das Kind wirklich davon profitieren. Dafür gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten wie beispielsweise eine muttersprachliche Kita, Spielgruppe oder Tagesmutter. Und ganz wichtig: Das Kind sollte auf keinen Fall Druck erfahren. Denn: Kinder wollen keine Sprachen lernen, sie wollen kommunizieren!
Was tun, wenn das Kind eine seiner Erstsprachen im Schulunterricht lernen soll? Am besten nichts weiter, denn die Lehrpersonen werden meist Wege finden, damit das Kind nicht unterfordert ist oder sich langweilt. Und selbst wenn das Kind die Sprache schon kennt, kann es noch eine Menge über die Grammatik, Schriftsprache und den kulturellen Hintergrund erfahren.
Michaela Davison ist Lektorin und Mutter dreier Kinder. Sie wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich. Zwar liest sie gern die Texte anderer, schreibt selbst aber auch leidenschaftlich gerne. Vor allem übers Elternsein. Weitere Infos unter Leselupe.ch