Ab dem Krabbelalter wächst die Vorsicht
Aus der Forschung
Visuelle Reize, die wie ein sich schnell näherndes, gefährliches Objekt wirken, können Babys erst ab einem Alter von acht Monaten richtig erkennen. Das legt eine EEG-Studie der Hirnforscher Ruud van der Weel und Audrey van der Meer von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim nahe. Bereits in früheren Untersuchungen hatte sich angedeutet, dass Babys, die noch nicht mit dem Krabbeln begonnen haben, beispielsweise im falschen Moment blinzeln. Das zeigt, dass jüngere Babys zwar die Gefahr wahrnehmen, aber den Zeitpunkt des Aufpralls nicht richtig einschätzen können. Die motorische Beweglichkeit, hier das Krabbeln, ist somit wie ein Startschuss für bestimmte Reifungsprozesse in der Sehrinde.
Für ihre Untersuchung bestimmten die Wissenschaftler mittels EEG (Elektro-Enzephalographie) die Gehirnaktivität von insgesamt 22 Babys im Alter von fünf, acht und elf Monaten, während diese auf einen Bildschirm blickten. Dort war ein bunt animierter Kreis zu sehen, der sich schnell vergrösserte und damit die Illusion eines sich nähernden Objekts erzeugte. Solche Reize signalisieren dem Gehirn eine drohende Gefahr. In der Studie wurden sodann die räumliche und zeitliche Ausbreitung der Nervenaktivität wie auch die Blickrichtung beider Augen während dieser sich scheinbar abzeichnenden Kollision bestimmt.
Schon kleine Babys blinzelten, pressten die Köpfe zurück oder begannen sogar zu weinen, wobei in diesen Fällen der Versuch natürlich unterbrochen wurde", so van der Weel. Dennoch zeigten sich deutliche Unterschiede nach den Lebensmonaten. "Mit fünf Monaten zeigte die Sehrinde der Babys auf alle Geschwindigkeit des Näherkommens die stärkste Abwehrreaktion, und braucht dafür länger. Je älter die Babys sind, desto besser und schneller können sie die Gefahr differenzieren." Am besten gelang dies bei den zehn bis elf Monate alten Säuglingen. In der Phase dazwischen nimmt die Verarbeitungsgeschwindigkeit der optischen Reize eine Mittelstellung zwischen den beiden Extremen ein.
Offensichtlich hat das Gehirn erst gegen Ende des ersten Lebensjahres, wenn Babys aktiv krabbeln, die notwendigen Voraussetzungen entwickelt, um Gefahren differenziert wahrzunehmen. Auslöser könnten beispielsweise eine verbesserte Synapsentätigkeit sein sowie die fortschreitende Ummantelung der Nervenfasern mit Myelin, was die Impulsweitergabe beschleunigt.
"Gefahrenerkennung beginnt mit dem Krabbeln", so die Vermutung des norwegischen Forschers. Kinder brauchten diese Fähigkeit somit erst dann, wenn sie ihre Fortbewegung aktiv kontrollieren können. Für die Erziehung bedeute diese Erkenntnis, dass man auf spielerische Weise Babys schon früh mit Bewegungsreizen auseinandersetzen sollte, da dies die Ausbildung neuronale Netzwerke fördere. "Aus Versuchen mit Ratten weiss man, dass die Tiere weitaus schneller bestimmte Gehirnstrukturen entwickeln, wenn sie nach der Geburt in einem Umfeld voller Stimulationen leben, als wenn man sie in einen Käfig einsperrt", berichtet van der Weel.
Aus der Forschung: Van der Weel, F. R., van der Meer, A.: Naturwissenschaften 10.1007/s00114-009-0585-y, 2009.