Der Beckenbodentraining vor, während und nach der Schwangerschaft
Interview mit Judith Krucker-Manser
swissmom: Ist ein Training des Beckenbodens während der Schwangerschaft sinnvoll?
Judith Krucker-Manser: Auf jeden Fall, denn die Schwangerschaft bringt jede Frau in eine völlig neue Lebenssituation; sie setzt sich mit ihrem Körper auseinander. In dieser Zeit achtet Frau auf ganz andere Körpersignale, sie ist sensibler und bereit, Neues zu erkunden und entdecken. Ich empfehle den Frauen, ein Beckenbodentraining zu besuchen aber ganz speziell auf viel Entspannung zu achten. Sie sollen lernen ein gutes Beckenboden-Bewusstsein aufzubauen.
swissmom: Was bringt ein Beckenbodentraining vor der Schwangerschaft?
Judith Krucker-Manser: Je früher Frau ihren Beckenboden kennt und trainiert, umso grösser ist die Chance, später nicht mit Problemen wie Inkontinenz oder Senkung konfrontiert zu werden. Wissen Sie, dass acht von zehn Frauen in ihrem Leben irgendwann Beckenbodenprobleme haben? Ein gut instruiertes Beckenbodentraining beeinflusst die Haltung, das heisst es gibt weniger Rückenprobleme – es stärkt die weibliche Mitte und trägt somit zu mehr Selbstsicherheit bei. Da die Haltung in jeder Lebensphase wichtig ist, speziell aber während der Schwangerschaft durch die Schwerpunktverlagerung, kann ich aus Überzeugung jeder Frau ein Training vor der Schwangerschaft empfehlen.
Judith Krucker-Manser ist Inhaberin BeBo® Gesundheitstraining, Buchautorin und Fachfrau für Beckenbodentraining. Sie leitet erfolgreich Beckenbodenkurse nach dem BeBo® Konzept, ist Ausbilderin für den Diplomlehrgang zur Beckenboden-Kursleiterin und bietet Speziallehrgänge in Zusammenarbeit mit Krankenkassen an. Seit Herbst 2003 arbeitet sie teilweise in der Praxis von Dr. Daniele Perucchini, Blasenzentrum, Zürich.
swissmom: Man sagt, dass z.B. Reiterinnen einen sehr starken Beckenboden haben. Ist für diese Frauen die Geburt schwieriger?
Judith Krucker-Manser: Nein, nicht unbedingt. Wichtig ist, dass Frau alle Funktionen ihres Beckenbodens gut kennt, auch die Entspannung. Reiterinnen kennen oft nur die Spannung und das nicht einmal bewusst. Mit Wahrnehmungs- und Entspannungsübungen spüren die Frauen zunehmend, wann ihr Beckenboden aktiv und wann er locker und entspannt ist. Frauen, die mit einem funktionstüchtigen Beckenboden und einer guten Wahrnehmung in die Schwangerschaft gehen, haben erwiesenermassen später weniger Beckenbodenprobleme.
swissmom: Was passiert mit dem Beckenboden während der Schwangerschaft und Geburt?
Judith Krucker-Manser: Während der Schwangerschaft ist der Beckenboden sehr stark belastet durch die Gewichtszunahme. Hier ist die Haltung ganz wichtig wie oben erwähnt. Während der Geburt wird der Beckenboden extrem gedehnt. Jede Schwangerschaft schwächt den Beckenboden und jede Geburt hinterlässt Mikroverletzungen in der Beckenbodenmuskulatur. Heute werden Dammmassagen empfohlen, um den Damm weicher und elastischer zu machen und Verletzungen vorzubeugen. Eine andere Möglichkeit, in Kombination mit der Dammmassage, ist das Epi-No Gerät; das Epi-No setzt Frau (ca. 3 Wochen) vor der Geburt ein, um schrittweise Beckenbodenmuskulatur und Damm sanft zu dehnen. Frau kann mit dem Gerät die richtige Muskulatur spüren und den Trainingserfolg kontrollieren; dies gibt schlussendlich mehr Vertrauen und Sicherheit.
swissmom: Wann soll/darf Frau nach der Geburt wieder trainieren und gibt es Sportarten, Trainingsgeräte oder -arten, die während und nach der Schwangerschaft verboten sind?
Judith Krucker-Manser: Eigentlich darf Frau sofort nach der Geburt mit Wahrnehmungsübungen beginnen. Wichtig erscheint mir aber, dass sie sich zuerst Zeit für ihr Baby nimmt. Mit sanften Wahrnehmungsübungen beginnt sie dann ihren Beckenboden wieder fein zu spüren und sehr langsam mit gezielten Übungen aufzubauen. Nach ungefähr 6 Wochen, wenn der ärztliche Untersuch abgeschlossen ist und keine Komplikationen aufgetreten sind, darf mit einem gezielten Beckenbodentraining begonnen werden. Selbstverständlich muss die individuelle Situation immer berücksichtigt werden. Auch Frauen nach Kaiserschnitt sollen nach Abheilung der Wunde den Beckenboden wieder stärken, welcher während der Schwangerschaft ebenso belastet wurde. Sportarten wie Tennis, Jogging, Volleyball sind durch die Schläge und plötzlichen Veränderungen des Bauchraumdruckes belastungsintensiv für den Beckenboden. Mit falschem und zu frühem Bauchmuskeltraining oder Krafttraining erreicht Frau mehr Negatives als Positives. Deshalb ist es wichtig, in Zusammenarbeit mit der Therapeutin das richtige Training zu wählen.