Was Eltern über Zöliakie wissen sollten
Aus der Forschung
„Zöliakie?? Keine Angst!“, heißt es auf einem Informations-Portal, das seit Kurzem online kostenlos zur Verfügung steht. Der von der Stiftung Kindergesundheit gemeinsam mit dem Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München erarbeitete Online-Kurs zoeliakie-verstehen.de bildet den massgeblichen Teil des EU-Projekts Focus IN CD (Fokus auf Zöliakie). Das Lernprogramm soll Eltern von Betroffenen aktuelles und umfassendes Wissen zu Zöliakie bieten und medizinisches „Fachchinesich“ anschaulich erklären.
„Obwohl mindestens ein Prozent der europäischen Bevölkerung von Zöliakie betroffen ist, wissen nur wenige, worum es sich dabei wirklich handelt“, erläutert Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Unser Online-Kurs soll deshalb Zöliakiebetroffenen mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Nahrungsmittel-Unverträglichkeit vertraut machen.“
Die Inhalte fasst Dr. Katharina Werkstetter, Projektleiterin des Online Kurses am Dr. von Haunerschen Kinderspital folgendermassen zusammen „Das Motto des Online-Kurses ist: Wissen schafft Selbstverstrauen! Je besser Betroffene informiert sind, desto besser können sie mit der neuen Situation umgehen. In diesem Lernprogramm werden deshalb auch kompliziertere Zusammenhänge allgemeinverständlich und anschaulich erklärt, eine glutenfreie und gleichzeitig gesunde Ernährung vorgestellt und praktische Tipps für den Umgang mit Zöliakie im Alltag gegeben. Anschauliche Graphiken, Videos und interaktive Quizfragen machen das komplexe Thema transparent und nachvollziehbar. Eine Übersicht wichtiger Kontaktadressen rundet die Inhalte ab und bietet praktische Hilfe.“
Zöliakie - was ist das überhaupt?
Die Zöliakie ist eine chronische Autoimmunerkrankung. Sie kann bei Personen mit einer genetischen Veranlagung praktisch in jedem Lebensalter auftreten, häufig beginnt sie aber bereits im frühen Kindesalter.
Auslöser für die Zöliakie ist das Getreideeiweiss Gluten. Es wird auch als Klebereiweiss bezeichnet, weil es für den Zusammenhalt des Teigs in Nudeln, Brot und anderen Backwaren sorgt. Gluten findet sich vor allem in Weizen, einschliesslich Dinkel, Grünkern, Einkorn, Emmer und Kamut, sowie in Roggen und Gerste.
Gluten kann bei Personen mit einer genetischen Veranlagung eine Reaktion des Immunsystems im Dünndarm auslösen, bei der die Schleimhaut des Dünndarms geschädigt wird. Dadurch verkümmern die Darmzotten, die für eine Vergrösserung der Oberfläche und eine bessere Nährstoffaufnahme sorgen. Eine häufige Folge der Zöliakie sind deshalb Nährstoffdefizite, zum Beispiel eine unzureichende Versorgung mit Eisen, Calcium oder Vitaminen.
Aber auch eine Vielzahl anderer Beschwerden sind möglich. Eine davon ist der aufgetriebene und vorgewölbte Bauch, auf den der Name der Krankheit zurückgeht. Zöliakie ist abgeleitet von „koilia“, auf Griechisch die „bauchige Krankheit“, wie sie bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus beschrieben wurde. Diesen Blähbauch mit dünnen Ärmchen findet man häufig bei Kleinkindern mit Zöliakie, meist in Kombination mit einer Gedeihstörung und chronischem Durchfall.
Doch in den meisten Fällen und mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit dieser deutlichen Anzeichen eher ab. Meist handelt es sich dann um unspezifische Beschwerden, die auch Ärzte nicht immer sofort an eine Zöliakie denken lassen. Dazu zählen allgemeine Verdauungsprobleme, chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit (meist bedingt durch einen Eisenmangel und Blutarmut), Konzentrationsstörungen, chronischen Kopfschmerzen, depressive Stimmung, Haarausfall oder brüchige Nägel, Zahnschmelzdefekt oder eine Neigung zu Knochenbrüchen (Osteoporose). Auch juckende Hautausschläge können eine Form der Zöliakie sein, die dann als Dermatitis herpetiformis Duhring bezeichnet wird. Es gibt auch eine stumme Verlaufsform, bei der die Betroffenen nichts von der Zöliakie bemerken. Aufgrund des breiten Spektrums an möglichen Symptomen und Anzeichen wird die Zöliakie auch als ein „klinischen Chamäleon“ bezeichnet.
Es gibt bestimmte Risikogruppen mit einem höheren Risiko für Zöliakie, dazu zählen Patienten mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1 oder Autoimmuner Schilddrüsenerkrankung (Hashimoto Thyreoiditis), sowie nahe Verwandte (Eltern, Kinder oder Geschwister) von Zöliakiebetroffenen oder Menschen mit Chromosomenstörungen (Down Syndrom oder Turner Syndrom).
Nicht selten – aber zu selten diagnostiziert
Zöliakie kommt häufiger vor als bisher angenommen, hebt die Stiftung Kindergesundheit hervor. In Deutschland schätzte man früher die Häufigkeit auf 0,05 Prozent (ein Betroffener auf 2000 gesunde Personen). Heute weiss man: Es gibt deutlich mehr Betroffene, wahrscheinlich eher 1 % der Bevölkerung.
„Die Erkrankung ist also häufig, aber sie wird zu selten erkannt“, unterstreicht Professor Berthold Koletzko. Kinderärzte, Allgemeinmediziner und Internisten sollten deshalb mehr als bisher an eine Zöliakie denken und nicht nur dann, wenn der Patient an heftigen Magen-Darm-Beschwerden leidet. „Ärzte haben auch heute noch oft das klassische Bild der Zöliakie mit heftigen Durchfällen und Bauchschmerzen im Kopf oder gehen davon aus, dass sie nur bei Kindern vorkommt. Vor allem bei Patienten mit weniger deutlichen Beschwerden bleibt die Zöliakie manchmal lange Zeit unerkannt.“ gibt Dr. Katharina Werkstetter zu bedenken.
Diagnose mit Bluttests und Darmspiegelung
Dabei ist als erster Schritt zur Abklärung einer Zöliakie lediglich eine einfache und kostengünstige Blutuntersuchung notwendig. Bei Zöliakie produzieren die Immunzellen Autoantikörper gegen das körpereigene Enzym „Gewebstransglutaminase“, auch „Transglutaminase Typ 2“ genannt (abkürzt als tTG oder TG oder TG2). Der Test auf anti-tTG kann in den meisten Fällen schon sehr gut vorhersagen, ob eine Zöliakie vorliegt oder nicht.
Bei positivem Bluttest wird zur Diagnosesicherung in der Regel eine Magenspiegelung mit der Entnahme von winzigen Gewebeproben aus dem Dünndarm durchgeführt. Diese werden dann unter dem Mikroskop auf die typische Abflachung der Darmzotten hin untersucht. „Wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, kann ein auf Magen-Darmerkrankungen spezialisierter Kinder- und Jugendarzt (Kindergastroenterologe) die Zöliakie mittlerweile auch ohne Magenspiegelung verlässlich diagnostizieren. Dazu sind zwei Blutabnahmen notwendig, die tTG-IgA müssen mindestens das 10-fache über dem Grenzwert liegen und ein weiterer Blutwert positiv sein“, betont Professor Berthold Koletzko.
Erfolgreiche Behandlung mit lebenslanger Diät
Bei Zöliakie hilft nur eine lebenslange, strenge Diät, bei der alle glutenhaltigen Getreideprodukte und daraus hergestellten Speisen weggelassen werden müssen. Die Ernährungsumstellung bedeutet gerade zu Beginn eine sehr grosse Umstellung für die Betroffenen, denn es müssen auch kleinste Spuren von Gluten gemieden werden. Deshalb müssen nicht nur beim Einkaufen ganz genau die Zutatenlisten studiert werden. Auch das Essen ausser Haus ist eine Herausforderung. Denn in bei der Zubereitung wird oft nicht darauf geachtet, eine mögliche Verunreinigung mit glutenhaltigen Zutaten zu vermeiden.
Trotz aller Einschränkungen lernen die meisten Patienten mit der Zeit die Ernährungsumstellung im Alltag gut umzusetzen. Unter der streng glutenfreien Ernährung erleben die Betroffenen in aller Regel eine schnelle und dauerhafte Besserung ihrer Symptome. Doch auch bei gutem Verlauf kann es gerade bei Erwachsenen mit Zöliakie ein bis drei Jahre dauern, bis die Schleimhaut sich vollständig erholt und die Darmzotten wieder die übliche Länge erreicht haben.
Wird die glutenfreien Ernährung aber nur unzureichend oder gar nicht eingehalten, kann es bei Kindern zu Störungen der Entwicklung und des Wachstums kommen, betont die Stiftung Kindergesundheit. Und auch erwachsene Patienten können wieder Symptome entwickeln. Doch selbst ohne Beschwerden sind gesundheitliche Langzeitfolgen möglich, dazu zählt insbesondere das Risiko für Knochenbrüche aufgrund einer Osteoporose. Auch eine Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit und ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Fehl- und Frühgeburten wird im Zusammenhang mit unbehandelter Zöliakie beschrieben. Eine seltene aber sehr gefürchtete Komplikation ist eine bösartige Erkrankung des Verdauungstraktes (Dünndarmlymphom).
Hilfe gegen Falschinformationen aus dem Netz
Gerade nach der Diagnosestellung fühlen sich viele Betroffene überfordert von der lebenslangen Diagnose und der Ernährungsumstellung. Hilfe finden sie vor allem bei der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG). Doch fast alle Betroffenen informieren sich darüber hinaus auch im Internet, denn viele möchten auch die Zusammenhänge und Details ihrer Erkrankung besser verstehen. Leider lauern gerade im Netz jede Menge Falschinformationen.
Deshalb wurde im Rahmen des Focus in CD Projekts, gefördert durch das Programm Interreg Central Europe (Europäischen Regionalentwicklungsfond) der Online-Kurs www.zoeliakie-verstehen.de entwickelt, bei dem die Stiftung Kindergesundheit federführend beteiligt war. Er soll Betroffene unterstützen, ein gesundes und unbeschwertes Leben trotz chronischer Erkrankung zu führen und ihnen alle notwendigen Informationen bieten. Das Programm lässt sich am komfortabelsten am PC, auf dem Laptop oder Tablet nutzen. Der Kurs ist seit 31. Oktober 2018 auf Deutsch und Englisch für jeden kostenlos und werbefrei zugänglich, eine Registrierung ist nicht erforderlich. Bis Anfang 2019 soll der Kurs auch in allen Sprachen der Focus IN CD Projektpartner (Kroatisch, Ungarisch, Slowenisch und Italienisch) zur Verfügung stehen, weitere Sprachen könnten bis Ende 2019 folgen.
Quelle: www.kindergesundheit.de