Was tun, damit der Druck nicht zu gross wird?

So können Sie Ihr Kind stärken, mit dem stressigen Schulalltag umzugehen.

Kind blickt in die Kamera

Leider schliessen die meisten Kinder früher oder später Bekanntschaft mit Schulstress und übermässigem Leistungsdruck. "Zwei von drei Kindern erleben schon in der Grundschule Stresssituationen", sagt der Lehrer und Fachhochschuldozent Reto Cadosch.

Warum Schulstress entsteht


Der zweifache Vater, der auch in der Elternbildung tätig ist, erklärt, weshalb Schulstress heute omnipräsent ist: Er werde ähnlich einem Wanderpokal weitergereicht von der Politik und der Gesellschaft, die die Bildung auch als einen Wirtschaftsfaktor sehen, über die Schulen, die den vom Lehrplan vorgeschriebenen Stoff vermitteln, über die Eltern, die viel Geld und Energie aufwenden, um ihrem Kind zu schulischem Erfolg zu verhelfen.

Da zudem in der Schule sehr viel über die Sprache läuft und das handwerkliche Arbeiten in den Hintergrund gedrängt wird, geraten Kinder, die weniger sprachbegabt sind, leicht unter Druck. Diese äusseren Umstände lassen sich kaum verändern, allerdings können Eltern sehr viel dazu beitragen, dass ihr Kind besser mit Druck und Stress umgehen kann und nicht zu Hause auch noch unter zu hohen Erwartungen leiden muss. 

Druck in der Schule erkennen 


Dass ein Kind unter Stress leidet, zeigt sich in zwei Stufen. In der ersten Stufe ist ein Kind unkonzentriert, schlecht gelaunt und aggressiv. Solche Erfahrungen sind laut Reto Cadosch normal und das Kind muss lernen, damit umzugehen. Kritisch wird es, wenn ein Kind an Einschlaf- oder Essstörungen leidet, lustlos ist, oder andauernd über Bauchschmerzen klagt. "Depressionen bei Kindern haben stark zugenommen. Stress ist längst keine Managerkrankheit mehr", sagt Reto Cadosch. Einzelkinder und Erstgeborene seien besonders gefährdet, darunter zu leiden, da die Eltern es besonders gut machen möchten und dadurch eine perfektionistische Tendenz förderten. 

Schulstress nicht verschlimmern


Eltern tragen durch bestimmte Verhaltensweisen dazu bei, dass der Druck noch zunimmt und das Leiden des Kindes grösser wird. So vermitteln zum Beispiel Aussagen wie "Immer vergisst du deine Sachen" oder "Immer muss man dir alles hinterhertragen" dem Kind den Eindruck, es könne nie genügen und müsse seine Sache immer besser machen. Auch Aussagen wie "Mach deine Hausaufgaben, in China warten die Menschen schon auf deinen Job" sollten Eltern unbedingt vermeiden, sagt Reto Cadosch. Wichtig sei ausserdem, das Augenmerk nicht auf die Schwächen zu richten, sondern die Stärken zu fördern, ganz nach dem Motto "Stärke deine Stärken, aber vernachlässige deine Schwächen nicht". Wer seine Stärken kenne, sei auch selbstbewusst genug, sich mit seinen Schwächen auseinanderzusetzen. 

Das Kind stärken


  • Gesunde Ernährung, genügend Schlaf, viel Bewegung und Rituale tragen viel dazu bei, dass ein Kind seinen Alltag ausgeruht und gestärkt meistern kann. "Ehe es am Morgen in die Schule geht, muss ein Kind mindestens ein Glas Wasser getrunken und etwas Reichhaltiges gegessen haben", legt Reto Cadosch den Eltern, die seine Elternbildungskurse besuchen, jeweils nahe. 

  • Wenn ein Kind unter Stress leidet, braucht es eine gute Beziehung zu den Eltern mehr denn je. Mit dem Kind zu reden und seine Nöte ernst zu nehmen, ist sehr wichtig. Jungen falle es oft nicht so leicht, über die Dinge zu reden, die sie beschäftigen, weiss Reto Cadosch aus Erfahrung. In solchen Fällen helfe ein gemeinsames sportliches Erlebnis wie zum Beispiel eine Fahrradtour, um das Eis zu brechen und ins Gespräch zu kommen. 

  • Das Kind braucht Hausaufgaben und zwar im wahrsten Sinne des Wortes als "Ämtli", die es zu Hause übernimmt. Dadurch lernt es, Aufträge anzunehmen und durchzuführen und ist in der Schule weniger überfordert mit den vielen, oft mehrstufigen Aufträgen, welche die Lehrperson erteilt. 

  • Die Schule erfordert von den Kindern einen sehr hohen Einsatz, darum ist es wichtig, dass die Freizeit nicht voll verplant ist und auch mal einfach Zeit zum Nichtstun bleibt. 

  • Kinder entwickeln oft ihre ganz eigenen Strategien, um mit Druck und Stress umzugehen, zum Beispiel, indem sie als Ausgleich Sport machen, musizieren oder auch einfach mal ein Stück Schoggi geniessen. Diese "Hilfe zur Selbsthilfe" können Eltern gezielt unterstützen und fördern. 

  • Gerade perfektionistisch veranlagte Kinder lernen oft mehr, als überhaupt nötig wäre, um eine gute Leistung zu erbringen. Eltern dürften getrost mal sagen: "Du hast genug getan, leg' das jetzt zur Seite", rät Reto Cadosch. 

  • Um ein Kind zu stärken, ist es wichtig, nicht immer nur das Resultat zu sehen, sondern die Anstrengung, die das Kind auf sich genommen hat, zu loben. Damit kann man bereits anfangen, bevor das Kind in der Schule ist, denn auch im Alltag gibt es viele Bereiche, in denen ein Kind sich sehr bemüht und dann doch nicht das erhoffte Ziel erreicht. Eltern sollten ihre Kinder überhaupt mehr ermutigen, als loben, ist Reto Cadosch überzeugt. "Lob bedeutet, dem Kind am Ende eines 80-Meter-Laufs zu seinem guten Schlussrang zu gratulieren, 'Er-Mut-igung' bedeutet, am Rand der Strecke zu stehen und dem Kind während des Laufs zuzurufen, dass es seine Sache gut macht und es ins Ziel schaffen wird", erklärt der Elternbildner. 

  • Wichtig ist auch der Umgang mit Computer und Medien. Lerne ein Kind zum Beispiel Vokabeln und spiele danach vor dem Schlafengehen ein sinnloses Computergame, beschäftige sich das Gehirn während des Schlafs mit dem Game, anstatt das vorher Gelernte zu konsolidieren. 

  • Manchmal müssen Eltern auch ihren eigenen Ehrgeiz in die Schranken weisen. Ein gesundes Kind und eine gute Beziehung zu den Eltern sind wichtiger, als Glanzleistungen. "Lieber eine schlechte Note, als Essstörungen", bringt es der in Zizers wohnhafte Lehrer provokativ auf den Punkt.

Die Eltern können aber nicht nur im Familienalltag viel dazu beitragen, dass es ihrem Kind besser geht. Sie sollten Teil des Bildungssystems werden, indem sie sich in Elternvereinigungen engagieren, sich in Elternbildungskursen informieren, wie sie ihrem Kind besser beistehen können und indem sie gemeinsam mit den Lehrpersonen nach Lösungen suchen, wenn sich die Kinder überfordert sehen.

Aus der Forschung


Letzte Aktualisierung: 13.07.2022, TV