Souveräner unterwegs im Netz
Interview mit Philippe Wampfler
swissmom: "Schwimmen lernen im digitalen Chaos" heisst Ihr neues Buch. Können Sie kurz erläutern, wie dieser Titel zu verstehen ist?
Philippe Wampfler: Die Informationen im Netz werden oft als Flut erlebt. Es gibt so viele davon, dass wir sie nicht überblicken können und den Eindruck haben, darin zu ertrinken. Wer sich Orientierung verschaffen will, muss das Schwimmen im Informationsmeer erlernen.
swissmom: Im ersten Teil Ihres Buches zeigen Sie auf, wie viel Nonsens wir im Netz begegnen und wie schwierig es ist, in dieser Flut den Kopf über Wasser zu halten. Haben wir denn überhaupt eine Chance, gegen diesen Nonsens anzukommen, der - oft sehr gezielt - verbreitet wird?
Philippe Wampfler: Die optimistische Antwort: Menschen haben Medienwechsel bislang immer bewältigt. Auch gedruckte Bücher wurden als Überforderung erlebt, bis sie mit einfachen Hilfsmitteln wie Inhaltsverzeichnissen versehen wurden. Die pessimistische Antwort: Eine Chance haben wir, wenn Politik, Wirtschaft, Kultur und wir alle als Individuen zusammenarbeiten. Das scheint illusorisch.
Philippe Wampfler hat Germanistik, Mathematik und Philosophie studiert. Er unterrichtet Deutsch, Philosophie und Medienkunde an der Kantonsschule, ist als Dozent an verschiedenen Fachhochschulen der Schweiz tätig und führt Weiterbildungsveranstaltungen an Schulen durch. Seit 2015 lehrt er Fachdidaktik Deutsch am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Zürich. In seinem Buch "Schwimmen lernen im digitalen Chaos" geht er der Frage nach, wie Kommunikation im Netzt trotz Nonsens gelingt. Philippe Wampfler ist Vater von drei Kindern und lebt in Zürich.
swissmom: Sie schreiben, wir müssten lernen, souverän mit dem Nonsens umzugehen. Können Sie an einem konkreten Beispiel erklären, wie ein souveräner Umgang aussehen könnte?
Philippe Wampfler: Auf Facebook verbreitet sich die Nachricht, in der Nachbargemeinde sei ein Mädchen auf dem Schulweg entführt worden. Wer das unreflektiert liest, empfindet Mitgefühl mit den Eltern und verbreitet die Nachricht - sie könnte ja helfen. Wer souverän damit umgeht, ruft eine Bekannte in der Nachbargemeinde an, die gut informiert ist, und fragt nach, ob das wirklich stimmt - weil solche Meldungen oft auch verbreitet werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen - ohne dass tatsächlich etwas passiert ist.
swissmom: Ein Mittel, um Nonsens im Netz entgegenzuhalten, sehen Sie im Aufbau und der Pflege von Wissensnetzwerken. Wie muss man sich ein solches Netzwerk vorstellen?
Philippe Wampfler: Grundsätzlich befinden sich darin Menschen, denen ich Fragen stellen kann, wenn ich unsicher bin - also etwa die Bekannte aus dem obigen Beispiel. Bei Unsicherheit kontaktiere ich diese Personen direkt und frage nach, bevor ich mich überzeugen und beeinflussen lasse. Ideal wäre es, ich hätte jemanden in meinem Wissensnetzwerk, der sich mit Medizin auskennt, jemanden, die in politischen Fragen drauskommt, etc.
swissmom: Wie baut man ein Wissensnetzwerk auf?
Philippe Wampfler: Indem man Fragen stellt und Fragen beantwortet. Im Netz geht das ganz einfach, die Schwellen sind niedrig. Aber generell reagieren Menschen sehr positiv, wenn man sie um Informationen bittet. Also im Zweifelsfall aktiv auf jemanden zugehen, statt passiv irgendwas zu glauben, was im Netz steht.
swissmom: Kinder und Jugendliche werden oft als "Digital Natives" bezeichnet, da sie in eine bereits digitalisierte Welt hineingeboren worden sind. Daraus wird zuweilen abgeleitet, dass sie sich die Fertigkeiten, die sie brauchen, um sich im Netz zurechtzufinden, ganz von selbst und spielerisch aneignen. Greift das nicht ein wenig zu kurz?
Philippe Wampfler: Definitiv. Wer sich mit Medienpädagogik beschäftigt, spricht heute nicht mehr von Digital Natives. Das Alter sagt wenig über die Mediennutzung aus. Ein souveräner Umgang mit Informationen und Quellen im Netz ist enorm komplex zu erlernen und erfordert viel Übung. Jugendliche müssen das erlernen - auch wenn sie gerade im Social-Media-Bereich oft mehr Erfahrung und Übung als Erwachsene haben.
swissmom: Durch das Aufkommen von sozialen Netzwerken und mobilen Geräten sehen sich Eltern mit erzieherischen Herausforderungen konfrontiert, auf die sie oft nicht anders zu reagieren wissen als mit Einschränkungen, Warnungen und Verboten. Dies kann das Familienleben stark belasten. Haben Sie Tipps für einen konstruktiveren Weg?
Philippe Wampfler: Einen Weg ohne Anstrengung kenne ich nicht. Selbstverständlich gibt es andere Möglichkeiten als Verbote, um einen Umgang mit Medien zu lernen. Begleitung etwa, strategische Freiräume, gemeinsames Gestalten von Inhalten im Netz. Das ist wohl generell der empfehlenswerte Weg: Gemeinsam mit Kindern im Netz aktiv sein.
swissmom: Wenn wir in sozialen Netzwerken unterwegs sind, hinterlassen wir eine Datenspur, die ziemlich viele Einblicke in das Leben und die Persönlichkeit eines Menschen gewähren. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass viele Mütter und Väter auf ihren Profilen Fotos ihrer Kinder veröffentlichen, die auch für Fremde offen zugänglich sind?
Philippe Wampfler: Diese Frage wird immer wieder heftig diskutiert. Menschen dokumentieren ihr Leben heute im Netz - warum also nicht auch Kinderfotos? Andererseits kann man sich Kinder vorstellen, die später diese Bilder gerne löschen würden, aber es nicht mehr können. Deshalb würde ich hier zur Zurückhaltung raten: Bilder sorgfältig auswählen, spärlich und gut kontrolliert publizieren.
swissmom: Wenn ein Kind davon träumt, ein Youtube-Star zu werden, der mit Werbeverträgen das grosse Geld macht, hat man zuweilen das Gefühl, der Nonsens habe auch die Kinderzimmer schon längst überflutet. Müssen wir uns Sorgen machen um die Zukunft unserer Kinder?
Philippe Wampfler: Das sind Modeerscheinungen, die wieder abklingen. Jeder Zeit hat ihre Möglichkeit, berühmt zu werden. Für Kinder ist das faszinierend. Aber Youtube zeigt halt auch, dass Menschen leicht manipuliert werden können und andere das ausnutzen. Diese Tendenz wird sich im Netz eher noch verstärken in den kommenden Jahren.